Hofhues, S. (2011). Studentische Zusammenarbeit im Netz - Segen oder Fluch? w.e.b.Square, 04/2011. URL: http://websquare.imb-uni-augsburg.de/2011-04/1.
Ob studentische Zusammenarbeit Segen oder Fluch ist, kann man kaum eindeutig beantworten. Denn Zusammenarbeit kann mit positiven Erwartungen oder Erinnerungen verknüpft werden oder auch in Befürchtungen enden, die viele Studierende haben, wenn sie in heterogenen Teams interagieren. Insofern ist Zusammenarbeit unter Studierenden immer herausfordernd und bietet Potenziale, die mitunter ausgeschöpft werden können, aber nicht zwingend müssen. Greift man zum Beispiel den Aspekt des Wissensaustauschs unter Studierenden heraus, lassen sich episodisch die Widersprüche in der studentischen Zusammenarbeit deutlich erkennen.
Rückblende. Ich erinnere mich nur zu gut. Eines Tages saß ich in einer Lehrveranstaltung, in der es um Wissensmanagement ging, und ich sollte plötzlich mein Wissen teilen. Das war irgendwie ein komisches Gefühl, denn ich habe für dieses Wissen lange gearbeitet, es geradezu angehäuft. Und das sollte ich auf einmal teilen, nur weil es digitale Medien zulassen? Seltsam. Die anderen Studierenden könnten ja von mir abschreiben. Sie könnten sich an meinem Wissen bereichern. Sie könnten sich Lernprozesse ersparen, indem sie einfach mein Wissen übernehmen. Und überhaupt: Was habe ich davon, wenn ich mein Wissen teile? Aber ich will nicht so sein, irgendetwas wird sich meine Dozentin schon dabei gedacht haben, wenn ich meine Aufgabenlösungen ins Learning Management System hochlade. Und dass es nebenbei spannend zu lesen war, was die anderen schreiben, lernte ich schnell. Manchmal ist das, was von einem erwartet wird, gar nicht so schlecht. Merkte ich mir.
Ein paar Jahre später, dieselbe Universität, andere Situation. Ich stand kurz davor, meine Bachelorarbeit zu schreiben und fragte mich, wie so eine Arbeit aussehen sollte. Es gibt doch sicher Vorstellungen von den Professoren, die ich erfüllen muss, oder ein Muster, an das ich mich halten kann... oder? Rasch musste ich feststellen, dass es zwar einige Standards gibt, zu denen beispielsweise Zitierregeln gehören. Feststellen musste ich aber auch, dass speziell Vorstellungen über Art und Umfang der Arbeit hochgradig vom Betreuer abhängen; ebenso gibt es fachdisziplinäre Unterschiede, die weitestgehend implizit sind und erst infolge des Hineinwachsens in ein Fach erfasst werden. Umso glücklicher war ich, dass ich damals, im Jahr 2005, exakt drei hervorragend bewertete Bachelorarbeiten meines eigenen Studiengangs im Netz finden konnte. Anhand der Beispiele gelang es mir, immerhin einen Überblick über Anforderungen einer Abschlussarbeit zu erlangen. Und ein Jahr später schufen wir w.e.b.Square. Damit es anderen Studierenden mit ihrer Bachelorarbeit besser ergeht.
Austausch ist zu jedem Zeitpunkt wichtig - umso wichtiger vielleicht, desto tiefer man in wissenschaftliche Themen einsteigt. Denn Wissenschaft heißt verstehen lernen, um Positionen wissen und die eigene finden. Jedenfalls bleibt mir diese Erfahrung im Gedächtnis, wenn ich an meine Promotion zurückdenke. Was ist schon meine Position zum Lernen durch Kooperation? Ist Kooperation per se gut? Welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit bestehen in anderen formalen Bildungseinrichtungen? Wie der Zufall es will, wird das Kooperationsphänomen auch zum Gegenstand meiner Doktorarbeit. Und die Suche nach einer Position zur Kooperation zur längerfristigen Aufgabe. Ohne den Austausch mit anderen Doktoranden und Interessierten hätte ich sie nicht gefunden. Denn Austausch heißt Abwägen und bedeutet eine ständige Suche nach der eigenen Meinung. Und so wirkt Zusammenarbeit maßgeblich auch auf mich als Person.
Alle Situationen sind wahr. Alle Situationen sind geprägt von positiven Erfahrungen des Austauschs und von unsicheren Momenten in der Zusammenarbeit, die von den kooperierenden Partnern Vertrauen erwarten. Und sie kommen häufig vor. Sie kommen eigentlich immer dann vor, wenn man Studierende zur Zusammenarbeit - mit oder ohne digitale Medien - anregen will und gleichzeitig den Gruppen-übergreifenden Austausch anstoßen möchte. Denn, so viel habe ich mit der Zeit als Studentin, Doktorandin und später auch als Dozentin gelernt: Mit anderen Personen zusammenzuarbeiten, fordert heraus. Mit anderen Personen über das Netz zusammenzuarbeiten, macht Wissenskooperation per se leichter, in den unterschiedlichen Facetten aber auch komplexer. Denn die genannten Gefahren lassen sich nie gänzlich verhindern. Wohl aber kann man Studierende auf Chancen und Grenzen des Wissensaustauschs vorbereiten. Indem sie beispielsweise in formalen Lehr-Lernsettings häufig miteinander interagieren, indem sie unter Ihresgleichen kooperieren und so auch Beziehungen zueinander aufbauen, indem sie sich füreinander verpflichtet, ja, verantwortlich fühlen. Denn Wissenskooperation hat viel mit der persönlichen Haltung zum Austausch zu tun, die man auch fördern kann. Ich jedenfalls habe meine „Lektion" gelernt, die ich inzwischen gerne an meine Studierenden weitergebe.
In allen Situationen ist Raum zur gemeinschaftlichen Auseinandersetzung wichtig, das heißt das Erleben von Kooperation. Mit der aktuellen w.e.b.Square-Ausgabe soll Studierenden der Raum zur Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit im Netz gegeben werden. Unter dem Motto „Studentische Zusammenarbeit im Netz - Segen oder Fluch" wurden Beiträge mithilfe eines Aufrufs zur Beitragseinreichung (Call for Papers) gesammelt. Zusammen gekommen sind mehrere Beiträge, von denen vier mit dieser Ausgabe veröffentlicht werden. So fragen Christopher Könitz und Wolfgang Ruge danach, warum die Idee vernetzten Kollaborierens eine Erfindung der Buchkultur ist. Christina Bülow plädiert für eine rege Diskussionskultur im Netz und greift damit die herausragenden Chancen zur Partizipation im Netz auf. Diese werden allerdings aktuell selten genutzt. Dies gilt für das Lernen im Netz allgemein und für das Lernen an der Universität speziell, sodass Maximilian Speicher danach fragt, warum Potenziale des Web 2.0 unter Studierenden ungenutzt bleiben. Abschließend formuliert Theresia Meyer provokant: „Kein Bock auf Blog?!" Die Autorin gibt mit ihrem Text Einblicke in eine eigene empirische Studie im Hinblick auf Akzeptanz und Motivation zum Bloggen an der Universität Augsburg.
Im Namen der gesamten w.e.b.Square-Redaktion wünsche ich viel Freude bei der Lektüre der aktuellen Ausgabe.