Selzle, M. (2007). Mediendidaktik: Nichts leichter als das? w.e.b.Square, 01/2007. URL: http://websquare.imb-uni-augsburg.de/2007-01/2.
Viele E-Learning-Maßnahmen erreichen bisher nicht die gewünschte Effizienz. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Die Mediendidaktik sieht sich somit in der Pflicht, sich den vielfältigen Anforderungen zu stellen, um weiterhin die Investitionen in diese Lernform zu rechtfertigen.
Unter der Auflage, die Anzahl der Seminartage zu senken, waren von einer Weiterbildungsabteilung eines Unternehmens schon diverse Versuche unternommen worden waren, E-Learning-Programme einzuführen. Diese Abteilung für Personalentwicklung informierte sich nun über verschiedene Lernplattformen. Der erste Anbieter behauptete, vollauf von seinem Produkt überzeugt: „Alles ist möglich!" Seine E-Learning-Software würde die Fortbildungen im Unternehmen revolutionieren. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass sich die Fähigkeiten dieses jungen Verkäufers auf die Erstellung effektvoller Powerpoint-Präsentationen und viel versprechender Broschüren konzentrierten und er von der bestehenden Weiterbildungspraxis wenig Ahnung hatte. Mit der Idee, an die Erfahrungen der Angestellten in der Weiterbildungsabteilung anzuknüpfen, konnte er nicht viel anfangen. So fiel die Entscheidung auf einen professionelleren Anbieter. Aus Kostengründen wurden die angebotenen Schulungs- und Beratungsleistungen des Herstellers trotz Empfehlungen ausgeschlagen.
In der Abteilung wurde nun intern ein Konzept für ein Präsenzseminar erarbeitet, das die Anzahl der Seminartage durch Implementierung eines Web-Based-Trainings (WBT) reduziert. Nach einer Kick-Off-Veranstaltung wurde eine Phase des Lernens am Arbeitsplatz geplant. Es zeigte sich jedoch, dass nicht einmal die kleinsten Lektionen wirklich dauerhaft gelernt werden konnten. Wurden die Lernenden einmal nicht durch einen Kundenkontakt in ihrem Lernen gestört, so plagte sie häufig ein schlechtes Gewissen. Es entstand nämlich bei den Leuten der Eindruck, dass derjenige Mitarbeiter, der Zeit zum Lernen habe, zu wenig arbeite. Auf Unterstützung durch ihre nicht informierten Kollegen hofften die Lernenden vergebens. Weder das im Intranet eingerichtete Diskussionsforum, noch die Möglichkeit, zu einem Tutor Kontakt aufzunehmen, wurden genutzt. Abgesehen von Fragen zur Technik und Organisation blieb der Tutor unbeschäftigt.
Auf dem abschließenden Seminartag kam die Gelegenheit, die gemachten Erfahrungen auszutauschen. Die Trainer, die schon durch die Reduktion der Seminartage verärgert waren, fielen schon bald in ihre Gewohnheit des foliengesteuerten Unterrichts zurück. Auf das Problem der Übertragung des Gelernten auf die Anwendung am Arbeitsplatz wurde nicht eingegangen. Gehüllt in eine innovative Rhetorik klang das Projekt beeindruckend: Sogleich konstruktivistisch als auch handlungsorientiert sollte die Weiterbildungsmaßnahme sein. Das Kernstück des Vorhabens, das WBT, war ein tutoriell gestütztes Programm, das ein Lexikon und ein paar Internetlinks als Ergänzung aufwies. Es fehlten nicht nur jegliche Elemente des Gruppenlernens, die Potentiale simulativer Elemente waren mit der Durchrechnung einiger weniger Beispiele ebenfalls nicht ausgeschöpft. Obwohl die Evaluation des Projekts von Anfang an als wichtig erachtet wurde, kam die Feststellung des Lernerfolgs nicht über einen eilig erstellten Multiple-Choice-Test hinaus.1
Aus dem abstrahierten Beispiel des Unternehmens lässt sich eine mangelhafte Attraktivität des E-Learnings erahnen, was sich auch durch Zahlen einer Untersuchung der KPMG Consulting untermauern lässt:
Danach setzen lediglich 46% der deutschen Großunternehmen E-Learning als Bestandteil ihrer betrieblichen Aus- und Weiterbildung ein. Von den gerade mal 18% der Mitarbeiter, die Zugriff auf solche Angebote haben, nimmt nicht einmal die Hälfte diese in Anspruch2.
In anderen Unternehmen wurde die Erfahrung gemacht, dass bei einem Umstieg auf neue Lernmedien ein Anstieg der Lernmotivation zu verzeichnen war. Genauere Betrachtungen haben jedoch gezeigt, dass dieser zusätzliche Ansporn lediglich auf dem kurzfristigen „Neuheitseffekt" beruht. Empfindet sich der Lernende zudem durch eine gut gemeinte Unterhaltsamkeit und zu simple Lehrplanung unterfordert, so führt dies zu einer Verminderung der Anstrengung und damit verbunden auch zu einer geringeren Lernleistung als beim konventionellen Unterricht3. Die Mediendidaktik ist durch diese zahlreichen und vielfältigen Problemstellungen dringend gefordert den Nutzen des Lernenden von E-Learning-Maßnahmen zu optimieren.
Um eine ideale E-Learning-Lösung zu finden, dürfen natürlich auch die bestehenden Lerntheorien nicht außen vor gelassen werden. Sowohl der Behaviorismus, als auch der Kognitivismus und Konstruktivismus liefern sinnvolle Beiträge für die Mediendidaktik.
„In behavioristischen Lerntheorien wird Lernen als beobachtbare Verhaltensänderung verstanden, die als Reaktion auf Umweltreize erfolgt. Frühe Behavioristen wie Pawlow, Watson, Guthrie und Thorndike betrachteten ausschließlich die Reaktion, die auf äußere Reize bei so genannter klassischer Konditionierung erfolgte. Von diesen Reiz-Reaktionsketten leitet sich auch die Bezeichnung Stimulus (Reiz)-Response (Reaktion)-Theorie für diesen lerntheoretischen Ansatz ab. Innerpsychische Vorgänge bzw. der menschliche Verstand werden in diesen Ansätzen ausgeklammert."4
Skinner erforschte im Gegensatz zur klassischen Konditionierung die operante, bei der das Versuchsobjekt selbst aktiv wird und dessen Verhalten daraufhin sanktioniert wird. Diese Reaktion kann entweder bestärkend sein durch das Hinzufügen einer Belohnung (Verabreichung eines angenehmen Reizes) oder durch die Wegnahme eines Übels (Entfernen eines unangenehmen Reizes) oder hemmend wirken, indem eine Bestrafung erfolgt (Verabreichung eines unangenehmen Reizes) oder etwas Angenehmes entzogen (Wegnahme eines angenehmen Reizes) wird. Positives Verstärken erwies sich hierbei effektiver als Bestrafungen. Das gewünschte Verhalten wird durch häufiges Wiederholen und Koppeln des gezeigten Verhaltens mit einer Verstärkung oder Bestrafung gelernt. Dieser Lernvorgang wird komplett von Außen durch den Lehrenden gesteuert5.
Im Lauf der 60er Jahre kam es zu einem Umdenken, das als „kognitive Wende" bekannte wurde. Hier wurden die als absolut geltenden Ergebnisse der Behavioristen relativiert. Während Behavioristen nur äußerlich beobachtbare Vorgänge untersuchen, betonen die Anhänger der Kognitivisten den Einfluss interner Prozesse und kognitiver Strukturen des Verstandes. Der kognitive Prozess der Informationsverarbeitung wird als Lernen verstanden. Dabei werden kognitive Strukturen entwickelt, wiederholt verändert und angepasst. Durch diesen Prozress schließlich wird Wissen aufgebaut.
„Im Mittelpunkt kognitivistischer Theorien stehen Phänomene wie Wahrnehmung, Gedächtnis, Denken, Problemlösestrategien, Sprechen und Sprachverstehen als wichtige Aspekte beim Erwerb komplexer Wissensstrukturen und Konzepte"6. Das menschliche Verhalten wird als Ergebnis von Denkprozessen gesehen. Nach dem Verständnis der Kognitivisten besitzen Lernende Abstraktionsvermögen und eine Problemanalysekompetenz7. Der Kognitivismus begreift Wissen als Menge von Fakten (deklaratives Wissen) und Regeln (prozedurales Wissen), das unabhängig von einzelnen Personen existiert.
Da auch diese Lerntheorie einen extremen Standpunkt einnimmt (äußere Einflüsse wie das soziale Umfeld, u.a. werden nicht beachtet), kam sie bald in die Kritik und wurde von vielen Seiten her bemängelt. Zudem halten die Kognitivisten an der von den Behavioristen eingeführten externen Steuerbarkeit von Lernprozessen fest8.
Ein weiterer Paradigmenwechsel innerhalb der Lehr- und Lernforschung trat mit der Entwicklung konstruktivistischer Ansätze in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein, was eine große Bandbreite unterschiedlicher theoretischer Ansätze mit sich brachte. In diesem Feld existieren zum Teil sich widersprechende Grundaussagen, was zeigt, dass hier eine einheitliche Theoriebildung noch nicht abgeschlossen ist.
Zentral innerhalb des Konstruktivismus ist die Konzeptualisierung von Wissen. Dieses wird nicht als unmittelbares Resultat eines Wissenstransfers innerhalb eines Lehrprozesses betrachtet, sondern als eigenständige Konstruktion der Lernenden. Diese Konstruktion, die einen engen Bezug zu den Problemen der eigenen Lebenswelt aufweist, erfolgt auf der Grundlage eigener Handlungen und Erfahrungen. Im Gegensatz zu einem physikalischen Gegenstand lässt sich Wissen aus konstruktivistischer Sichtweise nicht von einer Person zur nächsten weitergeben, da Wissen nicht unabhängig vom erkennenden/lernenden Subjekt und der jeweiligen Lernsituation ist.
Der Konstruktivismus stellt somit die Lernenden in den Mittelpunkt und beschreibt diese erstmals als handelnden und aktiven Part der Lehr-Lern-Beziehung. Es wird somit das erste Mal mit der Steuerbarkeit von Außen gebrochen.
Auch wenn der Konstruktivismus sich weniger dazu eignet aus ihm präzise Konzepte abzuleiten, so hat er doch die mediendidaktische Diskussion in den vergangen Jahren stark mitbestimmt9.
Momentan ist das Abklingen dieser letzten theoretischen Strömung zu beobachten. Wie die anderen Modeströmungen vor dem Konstruktivismus haben sämtliche Richtungen neue Ideen und Anregungen mit sich gebracht, aber auch Grenzen aufgezeigt. Es erscheint nun sinnvoll aufzuhören, nach der einen besten didaktischen Methode unabhängig von den Parametern des didaktischen Feldes zu suchen. Die Realität zeigt deutlich, dass zutreffende didaktische Entscheidungen unmittelbar im Zusammenhang mit Variablen wie Zielgruppen, Lerninhalten und -zielen, sowie Rahmenbedingungen (Projektziele, Kosten, Ressourcen, Erwartungen, Motivation, etc.) getroffen werden müssen.
Es gilt den Umbruch weg von der Methodenzentrierung hin zur Gestaltungsorientierung zu bewältigen10.
Das „3 x 4-Baustein" - Prinzip von Wilbers vermag es bei der didaktischen Planung von E-Learning zu helfen. Dieses Modell weist eine Dreiteilung in Stakeholderanalyse, Design und Evaluation auf.
In der Stakeholderanalyse11 sollen die Betroffenen und Beteiligen ermittelt werden. Deren Ansprüche, Wünsche und Motivationen werden dabei genau betrachtet. Ebenso wird deren Bindung (commitment) zur E-Learning-Maßnahme berücksichtigt. Die Ergebnisse der Stakeholderanalyse werden in einem Heft der Gestaltungsansprüche gebündelt.
Der zweite Block, Design, beschäftigt sich unter anderem mit der Lernumgebung, wobei auf Rahmenbedingungen geachtet wird wie z.B. „Wird der Lernende im Betrieb durch Kundenkontakt häufig in seinem Lernen unterbrochen oder nicht?". Eine Prüfung der Einsatzvoraussetzungen kann in einem größeren Unternehmen, in dem nicht die komplette Belegschaft einwandfrei Deutsch spricht, von großer Bedeutung sein, da dadurch verhindert werden kann, dass ein gutes E-Learning-Programm an mangelnden Sprachkenntnissen scheitert. Das Transfermanagement befasst sich mit der Übertragbarkeit des Gelernten in den beruflichen Alltag und Wegen, diese zu verbessern. E-Learning-Maßnahmen müssen auch so konstruiert sein, dass eine umfassende Evaluation möglich ist.
Die dritte Säule bildet die Evaluation. Hier klärt sich, welche Partner in die Beurteilung miteingebunden werden. Auch die geeigneten Bewertungsinstrumente werden ausgewählt. Zudem ist es wichtig, einen ausgewogenen Konsens zwischen den Interessen des Entwicklers, des Auftragsgebers und denen des Lernenden zu erzielen. Hilfreich ist es auch, aus einem Projekt nach dessen Abschluss Lehren zu ziehen und sich zu fragen, was die Beteiligten dabei gelernt haben. Dies kann sich positiv auf die Qualität kommender Projekte auswirken.
Es gilt zu berücksichtigen, dass die Komplexität der Realität reduziert und somit vereinfacht ist. Dies birgt in sich die Gefahr, dass Entwickler bei der Umsetzung in die Praxis Schwerpunkte falsch setzen und ihnen somit der Erfolg verwehrt bleibt.
Um ein Scheitern zu vermeiden, müssen die didaktischen Maßnahmen präzisiert werden. Es bedarf weiterer mediendidaktischer Überlegungen, die eine Wende hin zur Gestaltungsorientierung fördern.
Tab. 1: Kriterien für die Struktur eines Interaktionsraumes
|
Sequentielle Lernwege |
Offener Interaktionsraum |
(1) Lehrstoff |
hierarchisch gegliedert |
flach gegliedert |
(2) Lernsituation |
formell | informell |
(3) Zielgruppe |
homogen |
inhomogen, dispers |
(4) Lernstil |
unselbstständig | selbständig |
(5) Motivation |
extrinsisch | intrinsisch |
(6) Vorwissen |
niedrig | hoch |
Anhand solcher Entscheidungskriterien lässt sich schnell ein Gerüst einer E-Learning-Plattform entwickeln, das aus mediendidaktischer Sichtweise eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit verspricht.
Es zeigt sich, dass eine gelungene mediendidaktische Planung wesentlich komplexer und anspruchsvoller ist als vielfach vermutet. Der erhoffte one-best-way bleibt eine Träumerei. Eine Unzahl möglicher Variablen macht es zu enormen Herausforderung, ein E-Learning-Programm zu entwickeln, das jedem Anspruch gerecht wird.
1) vgl. Wilbers, 2001
2) vgl. MMB & PSEPHOS, 2001
3) vgl. Kerres, de Witt, Stratmann, 2001
4) Arnold, 2004, S. 2
5) vgl. Arnold, 2004)
6) Arnold, 2004, S. 3 nach Anderson, 2001; Lefrancois, 1994; Spada, 1992
7) vgl. Arnold, 2004 nach Mandl & Spada, 1988
8) vgl. Arnold, 2004 nach Holzkamp, 1993
9) vgl. Arnold, 2004
10) vgl. Kerres, de Witt, Stratmann, 2001
11) vgl. Wilbers, 2001
12) vgl. Kerres, de Witt, Stratmann, 2001