Meyer, P. (2009). Social Networks - eine schöne Bescherung? Editorial. w.e.b.Square, 05/2009. URL: http://websquare.imb-uni-augsburg.de/2009-05/1
Montagvormittag. Ich im Büro. Einiges zu tun, aber trotzdem eben einloggen. Julia online. Statusnachricht: „Freunde sind wie Sterne. Auch wenn man sie mal nicht sieht, sind sie doch immer da." Hm, denke ich, immer wer da, in der Tat. Mein Blick wandert auf die Anzeige am oberen Bildschirmrand: „23 Freunde online". Genug für eine Party, aber es ist ja Montag.
Wem solche oder ähnliche Szenen aus dem eigenen (Berufs-)Alltag bekannt vorkommen, der darf sich stolz zu den „Digital Natives", den Ureinwohnern der digitalen Welt zählen. Mit den High-Tech-Werkzeugen einer neuen Ära wird die Welt Tag für Tag, Klick für Klick in digitalen Stein gemeißelt. Das hält sie zusammen, es schafft Sicherheit. „Wer bin ich?" „Wohin gehöre ich?" Der Notfallhammer in Zeiten des Zweifels ist der Link auf das eigene Hochglanzprofil, die eigene Freundesliste. Dort wird sich vergewissert: Ja, ich bin beliebt, ich habe Freunde. Das beruhigt.
Identität 2.0 ist ein Begriff, der bei der Thematisierung von Selbstdarstellung im Netz oft benutzt wird. Das, was wir „sind", spiegelt sich in der Digitalität. Fast selbstverständlich verschwimmen dabei wichtige Details. Das, was uns menschlich und letztendlich interessant macht, unsere Fehler und Eigenarten, sind in unserer Identität 2.0 allzu selten präsent. Unser Profil will gefallen. Nicht nur uns selber und den engsten Freunden. Nein, letztendlich allen Personen, die für unsere Zukunft irgendwann, irgendwie wichtig sein könnten. Sie sind die diffuse Zielgruppe unserer Selbstdarstellung. Das ist der zentrale Widerspruch zwischen Offenheit und Selektivität, der im Netz gelebte Realität ist.
Die aktuelle w.e.b.Square-Ausgabe nähert sich dem Thema „soziale Netzwerke" aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Zum einen liegt der Fokus auf der bereits angedeuteten kritischen Betrachtung des relativ neuen Phänomens der „sozialen Netzwerke". Diese bieten zwar die Chance für eine Stärkung des Zusammenhalts, z.B. zwischen Absolventen eine Studiengangs oder zwischen Politikern und Wählern. Jedoch verleiten die Netzwerke auch zu einer technologischen Entfremdung und das besonders dann, wenn echte Gemeinschaftlichkeit durch rein technologische Bindungen ersetzt wird.
Zum anderen behandelt diese Ausgabe exemplarische Szenarien, in denen die neuen Internettechnologien einen konkreten Nutzen haben können. Vor allem beim Lernen, beispielsweise beim Fremdsprachen-Unterricht in der Schule oder bei der virtuellen Begleitung von realen Vorlesungen an der Universität ist dies der Fall. Die Artikel liefern jeweils ihre eigenen Begründungen dafür, warum die Vernetzung über das Internet einen echten Mehrwert gegenüber klassischer Zusammenarbeit bietet. Solche wissenschaftlich-rationalen Begründungen sind in jedem Fall notwendig, um nicht in den Verdacht zu geraten, einem technologischen Trend zu folgen, der sich in zehn Jahren wieder überholt haben wird.
Trends kommen und gehen, echte Freundschaften bleiben. Und so ist es doch ein gutes Gefühl zu wissen, dass man die wirklich wichtigen Personen im eigenen Leben virtuell immer um sich haben kann. Auch wenn es der Berufsalltag mal nicht erlaubt, sich die volle Aufmerksamkeit zu schenken, „verbunden im Geiste" bleibt man doch.
Viel Spaß bei der Lektüre der vorliegenden Ausgabe,
Philip Meyer