Schnurr, J.-M. (2007). Nutzer als Kontribuenten in Online-Portalen: Ein modernes Modell der Beteiligung. w.e.b.Square, 03/2007. URL: http://websquare.imb-uni-augsburg.de/2007-03/6.
Die Begriffe Web 2.0 und Web 3.0 suggerieren große Schritte in der Entwicklung des Netzes. Tatsächlich aber verläuft die Entwicklung eher schleichend. Alle Innovationen, die für gewöhnlich unter Web 2.0 zusammengefasst sind, wurden bereits vor Jahren eingeführt und seither kontinuierlich verbessert. Bereits in den Tagen des Dotcom Boom & Bust propagierten die Betreiber von Plattformen, die Nutzer müssten stärker an der Generierung von Inhalten beteiligt werden. „Enabling the Community“ war damals ein beliebtes Motto. Die Besucher sollten stärker an die Seiten gebunden werden über Diskussionsforen, Bewertungs- und Kommentarfunktionen sowie die Möglichkeit, eigene Inhalte zu einem Portal beizusteuern. Also ungefähr das, was man heute mit „Web 2.0“ bezeichnet. Das bloße Vorhandensein technischer Möglichkeiten reicht allerdings nicht aus, um Nutzer zu Kontribuenten zu machen. Dieser Artikel behandelt die Bedeutung redaktioneller Arbeit für die Entwicklung moderner Partizipationsstrukturen im Internet.
Zunächst zu den psychologischen Voraussetzungen, warum sich Besucher überhaupt an Web-Projekten beteiligen: Von größter Bedeutung ist dabei der erwartete Erfolg kollektiver Aktivitäten. Das bedeutet, dass sich Nutzer beteiligen, wenn das Portal bereits erfolgreich arbeitet und wenn sie glauben, dass ihr Beitrag zu diesem Erfolg beträgt. Diese positive Erwartungshaltung und damit die Wahrscheinlichkeit für eine Beteiligung sind umso größer, wenn Besucher weitere Teilnehmer beobachten, die sich in Form von Beiträgen für das Portal engagieren. Zunächst beteiligen sich nur Nutzer mit großer Eigeninitiative und Motivation. Beobachten Nutzer mit einer höheren Teilnahmeschwelle die Zunahme von beteiligten Akteuren, nehmen sie ebenfalls teil. Mit zunehmender Zahl der Kontribuenten sind immer mehr Nutzer dazu bereit, sich an der Aktion beteiligen - der so genannten Bandwagon-Effekt entsteht.
Es gibt weitere mögliche Gründe dafür, warum Nutzer zum Kontribuenten aufsteigen. Der erste davon liegt in der Möglichkeit des Aufbaus von Kompetenz durch Beteiligung. Besucher versprechen sich einen Wissens- und Kompetenzgewinn durch eine aktive Partizipation. Neben dem Austausch von vorhandenem Wissen gewinnt so die Generierung von neuem Wissen an Bedeutung. Ein Effekt von eigenen Beiträgen ist darüber hinaus eine positive Reputation eines Kontribuenten innerhalb des sozialen Netzwerkes. „Quality members" steigen im Ansehen ihrer Peers. Die Beteiligung von Nutzern an einem Portal bringt folglich Vorteile für beide Seiten: die Betreiber der Plattform und die Nutzer selbst.
Bevor Sie allerdings damit beginnen, Nutzer als Kontribuenten anzuwerben, machen Sie sich zunächst klar, ob Ihr Portal überhaupt die Voraussetzungen dafür erfüllt. Die Grundlage ist zunächst ein fester Stamm von Besuchern. Versuchen Sie nicht, Gruppenprozesse in Gang zu setzen, wenn Sie nicht über eine kritische Masse an Interessenten verfügen, die ihr Portal regelmäßig aufrufen und ihm die Treue halten. Viele Startups machen sich zu wenig Gedanken darüber, wie Sie diese Ziele erreichen können. Im folgendem werden einige Tipps angeboten, wie Sie ihr Portal für ihre Zielgruppe interessant machen und dafür sorgen, dass Besucher ihre Seiten immer wieder aufrufen.
Denken Sie nicht, in erster Linie seien für den Erfolg Ihres Portals eine benutzerfreundliche Gestaltung und ästhetische Aspekte der visuellen Oberfläche von Bedeutung. Was zählt ist, dass Sie Ihren Besuchern etwas bieten, für das es sich lohnt, gerade Ihre Seiten aufzurufen. Führen Sie ein Benchmarking durch und informieren Sie sich, welche Portale mit der gleichen Idee oder einem ähnlichen Themenspektrum bereits im Netz stehen. Überlegen Sie dann, was Sie Ihren Besuchern anzubieten haben, was Ihre Vergleichsanbieter nicht vermitteln können. Wichtig ist, dass Sie schließlich nicht lediglich etwas anders machen als Ihre Konkurrenten, sondern dass Sie etwas für Besucher etwas anbieten, das sonst niemand anbieten oder anbieten kann.
Informationen sind der wesentlichste Eingangsfaktor von Interessenten zur festen Besucherschaft eines Portals. Sie erhalten Anregungen zu Beruf, Hobbies, Gesundheit und anderen für sie relevanten Themenbereichen. Stellen Sie sicher, dass Ihre Nutzer eine klare Vorstellung davon haben, welche Informationen sie von Ihrem Portal erhalten können und vergewissern Sie sich, ob diese Erwartungshaltungen auch erfüllt werden. Durch eine falsche Zielgruppenorientierung kann die Attraktivität eines Portals sinken. Kommunizieren Sie, was Ihre Besucher von Ihrer Plattform erwarten können und was sie anders machen als Ihre Konkurrenten. Vermitteln Sie ihren Besuchern ein klares Bild ihrer Identität als Nutzer des Portals und ihrer gemeinsamen Identität als Gruppe.
Es ist anzunehmen, dass einmal enttäuschte Nutzer die Dienste eines Portals nicht wieder in Anspruch nehmen. Ungepflegte Seiten, auf denen nur sporadisch oder über längere Zeiträume überhaupt keine neuen Inhalte auftauchen, verlieren Ihre Nutzer. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es neben Ihrer noch andere Plattformen gibt, die regelmäßig neues Material veröffentlichen. Wenn Sie Ihre Nutzer behalten wollen, stellen Sie die Aktualität Ihres Portals sicher. Planen Sie vor, wann Sie neue Beiträge veröffentlichen und wie Sie Phasen mit wenigen Neuigkeiten überbrücken. Wenn Sie auf Ihrem Portal ein Forum betreiben, geben Sie Ihren Besuchern Themen, über die Sie diskutieren können.
Gerade im Hinblick auf Kontinuität wird die Bedeutung redaktioneller Arbeit klar. Schaffen Sie effektive Kommunikationsstrukturen und delegieren Sie Aufgaben. Lassen Sie sich nicht in die Irre führen: Ihre Aufgabe ist es nicht, Nutzer möglichst schnell und in möglichst großem Umfang am Schreiben von Inhalten zu beteiligen. Verlassen Sie sich nicht auf die Community, Sie mit Inhalten zu versorgen. Wenn Sie dies tun, geben Sie die Kontrolle über Kontinuität und Zielgruppenorientierung Ihres Portals aus der Hand. Erst wenn Ihr Portal und sein redaktioneller Kern bereits einige Zeit erfolgreich arbeiten, sollten Sie damit beginnen, eine lose gekoppelte Peripherie von Nutzern stärker einzubeziehen. Dann haben Sie nicht nur Nutzer, die motiviert sind, sich zu beteiligen, Ihre Nutzer haben auch eine klare Vorstellung von dem Konzept des Portals, an dem sie sich beteiligen.
Kyanka, R. (2005). Enabling the Online Community Through Vertical PSOTs and Automated Adverse Content Delivery Systems. Vortrag vom 08.10.2005 anlässlich der "11th annual student computing conference". Association for Computing Machinery. University of Illinois. Illinois.
Lohse, C. (2002). Online Communities. Ökonomik und Gestaltungsaspekte für Geschäftsmodelle. Dissertation. Betreut von Ralf Reichwald. Lehrstuhl für Allgemeine und Industrielle Betriebswirtschaftslehre. Technische Universität. München.
Reinmann-Rothmeier, G. (2000). Communities und Wissensmanagement: Wenn hohe Erwartungen und wenig Wissen zusammentreffen. Forschungsbericht Nr. 129. Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie. Ludwig-Maximilians-Universität. München.