Mansmann, V. (2008). Wo ist das „e“ in der Hochschullehre? Der Einsatz von digitalen Medien in der Lehre an deutschen Hochschulen – ein Erfahrungsbericht. w.e.b.Square. 01/2008. URL: http://websquare.imb-uni-augsburg.de/2008-01/8
Der folgende Artikel beleuchtet den Status Quo der Nutzung von digitalen Medien in der Lehre an deutschen Hochschulen. Es handelt sich hierbei um einen Erfahrungsbericht und keine repräsentative Studie. Die Notwendigkeit und der Mehrwert des Einsatzes von digitalen Medien ist von der Masse noch unerkannt. Digitale Medien werden meist nur als Dokumentenablagesysteme verwendet. Es fehlt von Seiten der Dozenten nicht nur die Kenntnis über digitalen Medien, sondern auch das dazugehörige didaktische Wissen. Jedoch gibt es im „Medien und Kommunikation"-Studiengang in Augsburg ganz andere Beispiele. Denn es geht bei dem „richtigen" Einsatz von digitalen Medien in der Lehre um viel mehr als um eine technische Spielerei. Letztendlich geht es um eine neue Lernkultur und ein neues Selbstverständnis der Bildungsinstitution Hochschule hin zu einer Lernenden Organisation.
Der Einsatz von digitalen Medien an der Hochschule findet man meist bei Dozenten, die ein Interesse an Hochschuldidaktik und/oder einer Affinität für neue Technologien haben. Hochschuldidaktik ist jedoch an deutschen Hochschulen längst nicht flächendeckend angekommen. Die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses beinhaltet nur selten Didaktik, geschweige denn Mediendidaktik. Flächendeckende Evaluationen, und damit auch eine erhöhte Transparenz der Hochschullehre, wurden erst in den letzten Jahren relevant. Hinzu kommt, dass ein großer Teil der Hochschuldozenten zu einer Generation gehört, die nicht zwingend eine hohe Medienkompetenz besitzt und die Möglichkeiten der digitalen Medien wenig kennt.
Digitale Medien kommen sehr wohl zum Einsatz. Dass ihr Einsatz an der Hochschule unausweichbar ist, haben die Hochschulen glücklicherweise erkannt. Ein sehr großer Teil hat bereits institutionsweite Learning-Management-Systeme (LMS) oder Content-Management-Systeme (CMS) eingeführt. Sie werden auch von den Dozenten genutzt. Jedoch sagt dies noch nichts über die Qualität der didaktischen Integration aus. Die Nutzung dieser Systeme reicht meist nicht über den Status eines Rundschreibens über Raumänderungen und eines Dokumentenablagesystems hinaus. Eine tatsächliche Integration der digitalen Medien in die mikrodidaktische Planung einer Veranstaltung findet kaum statt. Dies hängt wiederum mit dem mangelnden Kenntnisstand der Dozenten über didaktische Möglichkeiten mit digitalen Medien (bzw. mit fehlender Medienkompetenz) zusammen und der Einschätzung, dass die digitalen Medien außer Mehrarbeit keinen echten Mehrwert für sie haben. Die Perspektive des Studierenden und seiner Medienwelt wird nur allzu selten eingenommen.
Die Mehrwerte können jedoch sehr vielseitig sein. Was meiner Meinung nach ganz besonders vernachlässigt wird (auch unabhängig vom Einsatz von digitalen Medien), ist ein zeitnahes Feedback zu Leistungen und zwar sowohl von Seiten der Dozenten, als auch von Seiten der Kommilitonen. LMS bieten hier erste Anknüpfungspunkte. Besonders hilfreich für den Austausch unter Studierenden sind hier beispielsweise Instant-Messaging Systeme wie Skype, ICQ oder MSN, die immer mehr auch zum Austausch über Lerninhalte eingesetzt werden. Daneben könnten Weblogs als Reflexionsmedium wie eine Art Lerntagebuch mit sozialem Austausch fest in die Lehre integriert werden. Alle Medien können - neben dem klassischen Dialog in der Veranstaltung oder via E-Mail - zum zeitnahen Feedback in der Hochschullehre beitragen.
Denn ohne Zweifel ist der Lerneffekt höher, wenn der Lernende auf eine Frage zeitnah eine Antwort bekommt, als wenn er einmal am Ende vom Semester einen Zweizeiler und eine Note über seine gesamten Leistungen als Feedback erhält. Des Weiteren sind auch die Studienleistungen der Kommilitonen für alle Studierenden lernhaltig. Um entsprechende Feedbackprozesse in die Lehre zu integrieren, bedarf es aber eines Umdenkens, immerhin gilt in der Wissenschaft bislang das Postulat von „Forschungsfreiheit" und „Lehrverpflichtung".
Ein interessanter Nebeneffekt für Dozenten und für Lernforscher ist, dass die Lernprozesse der Studierenden teilweise in der Plattform abgebildet werden (beispielsweise durch Entwürfe, Diskussionen in Foren) und so für Lehrende selbst nachvollziehbarer werden. Der Dozent kann Fehlentwicklungen und Missverständnisse viel früher erkennen und darauf eingehen. Viele Fragen können die Studierenden sich auch gegenseitig beantworten, die Online-Plattform unterstützt sie hierbei sich zu organisieren. Schließlich kennen sich in interdisziplinären und studiengangsübergreifenden Seminaren die Studierenden kaum untereinander.
Darüber hinaus geht für die Studierenden für die Organisation von mittlerweile gängigen Gruppenarbeiten unglaublich viel kostbare Zeit verloren. Wie man eine Gruppenarbeit oder ähnlich gelagerte Projekte organisiert, ist mit Sicherheit eine notwendige Schlüsselkompetenz, die man während dem Studium erlernen sollte. Dennoch kann die Hochschule organisationale Rahmenbedingungen schaffen, die diesen Prozess erleichtern.
Ich fordere nicht ein, dass alle Dozenten nur noch Blended Learning machen sollen. Gute Präsenzseminare sind das Wertvollste, was eine Universität bieten kann. Dennoch geht es um eine Ergänzung in der Präsenzlehre und eine Erweiterung des Einsatzes von digitalen Medien zu Lernzwecken. Ohne Medienkompetenz können berufstätige Erwachsene eigentlich nicht mehr in Berufsleben entlassen werden. Des Weiteren können digitale Medien beispielsweise in Online Alumni-Netzwerken nach dem Studium den Kontakt zur Universität und der aktuellen Forschung im eigenen Fachbereich halten und somit das lebenslange Lernen fördern.
Ein weiterer Grund für den mangelnden Einsatz von vorhandenen Systemen besteht zumindest an der Humboldt Universität zu Berlin darin, dass oft weder die Dozenten noch die Studierenden von den Angeboten des zuständigen Medienzentrums wissen. Das Angebot funktioniert nach dem Pull-Prinzip. Wer sich dafür interessiert, sucht sich die Informationen und findet sie/er evt. auch. Wer sich aber gar nicht damit auskennt, weiß nicht einmal, wonach er/sie sucht.
Es gibt ab und an Einführungskurse, von denen niemand etwas mitbekommt und die Einführungsdokumente werden von den Anfängern mit solchen Systemen schon gar nicht geöffnet. Viele meiner derzeitigen Dozenten haben zwar zu jeder Veranstaltung einen Moodle-Kurs1 als Dokumentenablage angelegt, sie schauen dort jedoch, wenn überhaupt, ein einziges Mal hinein und zwar zur kurzen Kontrolle, wenn die studentische Hilfskraft den Kurs fertig aufgesetzt hat und alle Dokumente hochgeladen sind. Auch die Studierenden wissen nichts von dem Angebot des Medienzentrums. Sie bekommen keine Einführung in das Moodle-System und kommen gar nicht auf die Idee, ein Einführungsdokument zu öffnen. Höhepunkt meines letzten Semesters war z.B. die Aussage einer Studentin, die sinngemäß meinte, eine Anweisung nicht mitbekommen zu haben. Auf die Frage hin, ob sie die Info nicht über die Online-Plattform bekommen hat, meinte sie, der Kurs sei für sie nicht so wichtig, als dass sie sich im Moodle dafür eingeloggt hätte.
Unter Studierenden meine ich jedoch beobachten zu können, dass sich der Wissensstand über digitale Medien und Web-2.0-Technologien erhöht hat und manche Probleme aus der Universität „herauswachsen". „Weblog" und „USB-Stick" sind außerhalb von Medienstudiengängen keine Fremdwörter mehr und viele sind es mittlerweile gewöhnt, ihr Bahn-Ticket im Internet einzukaufen, sich in Foren über neue Dinge zu informieren und selbst Kommentare zu verfassen. Warum schwarze Bretter mit wichtigen Informationen an Hochschulen mancherorts immer noch in irgendwelchen versteckten Winkeln hängen und nicht online stehen, ist für sie vollkommen unverständlich. Hier klafft die Lebenswelt der Studierenden von manchen Dozenten (nicht von allen!) immer weiter auseinander. Viele Studenten organisieren sich längst über studiVZ, Skype und Ähnliches. Es ist Gang und Gebe, dass ausländische Studierende mit eigenen Geräten Vorlesungen podcasten, um sie im Nachhinein aufzuarbeiten.
Der Handlungs- und Lernbedarf ist groß, jedoch muss ich auch betonen, dass in den letzten Jahren schon sehr gute Ansätze umgesetzt wurden und die Notwendigkeit zur Organisations- und Personalentwicklung erkannt wurde. Beispielsweise hilft an der HU ein leider bisher noch nicht langfristig finanziertes Projekt den einzelnen Fakultäten eTeams aufzubauen, in denen erfahrene Dozenten in Form von kollegialer Beratung „Anfängern" zur Seite stehen. Hier kommt auch Wissensmanagement zum Einsatz, welches bei der Berufsgruppe der Hochschuldozenten, sowie auch bei den Lehrern immer noch vollkommen unterrepräsentiert ist. Ein weiterer Schimmer Hoffnung am Horizont ist zumindest in Berlin das universitätsübergreifende geplante „Berliner Zentrum für Hochschullehre".
Dass es auch anders geht, beweist beispielsweise der Medien-und-Kommunikation-Studiengang in Augsburg. Hierzu muss man jedoch betonen, dass es sich um einen Medien-Studiengang handelt. Wissensmanagement und eLearning sind dort auch feste inhaltliche Bestandteile. Seit geraumer Zeit werden dort CMS und LMS eingesetzt, um die Lehre, zunächst in der Medienpädagogik und nun auch universitätsweit, zu unterstützen. Im Unterschied zur HU stehen bei allen Bemühungen die Studierenden im Zentrum. Anknüpfend an ihre Medienwelten und -gewohnheiten werden didaktische Szenarien entwickelt, die Inhalte einerseits und individuelle Bedürfnisse andererseits miteinander verknüpfen.
Der MuK-Studiengang in Augsburg scheint im Vergleich zur Realität an anderen Hochschulen (wie u.a. die Berichte in dieser Ausgabe zeigen) wirklich ein gallisches Dorf zu sein. Woran liegt es? Worin besteht der Unterschied zwischen den MuK-Studierenden und ihren Dozenten im Vergleich zu anderen Hochschulstandorten? Einige der Gründe sind in anderen Artikeln in dieser Ausgabe schon angesprochen worden. Die MuK-Studierenden sind aufgrund der Vorauswahl meist kommunikative und leistungswillige Studierende mit hohem Engagement. Die Dozenten sind relativ jung und beschäftigen sich allein von Beruf wegen sehr viel mit digitalen Medien und neuen didaktischen Szenerien und viele leben in der „Web-2.0-Welt". Im Vergleich zu der HU ist dies eine ganz andere Generation von Dozenten. Aber was Augsburg auszeichnet ist, dass die Studierenden ernst genommen werden. Es herrscht eine Kultur der Anerkennung und des Respekts. Sie werden auch gefragt (Evaluation). Den Studenten wird sehr viel zugetraut und ihr Engagement wird auch außerhalb des Leistungspunktesystems durch das Begleitstudium zertifiziert.
Gibt es mehr Geld? Ist die Zahl der zu betreuenden Studierenden pro Dozent besser? Nein. Aber dies wird in Augsburg nicht als Hindernis gesehen, sondern mit viel Kreativität und Experimentierfreude bewältigt. In Augsburg ist das Glas nicht halb leer, sondern (pragmatisch) halb voll. Der Spielraum in den Prüfungsordnungen ist größer als beispielsweise an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät an der HU in Berlin, wobei die Erziehungswissenschaftler sich die Prüfungsordnungen selbst so eng gefasst haben, dass sogar die Prüfungsmodalitäten vieler Seminare im Voraus vorgeschrieben sind. Die HU scheint mir etwas stärker reglementiert, insofern ich das beurteilen kann.
Aber ein ganz entscheidender Unterschied in Augsburg ist die Geschlossenheit und die starke Identifikation der Studierenden und der Lehrenden mit ihrem Studiengang. Von derart intrinsich motivierten Mitarbeitern können Unternehmen nur träumen. Es benötigt immer einzelne Personen, die engagiert sind, um eine derartige Lernkultur aufzubauen. In Augsburg haben sich gleich ein paar gefunden. Aber ohne die Unterstützung von „oben" (insbesondere von Prof. Gabi Reinmann, die diese Kultur mit aufgebaut hat), wäre dies wohl nicht möglich gewesen.
Professoren sind vom Selbstverständnis zunächst erst einmal Wissenschaftler und erst danach, wenn sie sich überhaupt so bezeichnen würden, Pädagogen oder Lehrende. Diese Reihenfolge ist jedoch keineswegs selbstverschuldet, sondern wird von den meisten Hochschulen vorgeschrieben. Es besteht ein hoher Druck nach regelmäßigen Veröffentlichungen und Leistungswettbewerb mit der Peer Group und dem Einwerben von Drittmitteln. Hinzu kommt, dass die Zahl der zu betreuenden Studierenden pro Hochschullehrer im Ländervergleich in Deutschland sehr hoch ist. Veränderte Rahmenbedingungen sorgen dabei weniger für Aufbruchstimmung denn für hohe Belastung: Ehemals feste Strukturen sind durch den Bolognaprozess ins Rollen bekommen und jeder Changeprozes bedeutet für die Beteiligten eine hohe Belastung. Hierbei handelt es sich nicht nur um eine Veränderung auf der didaktischen Mikroebene, sondern auch die Verwaltung muss ihre Prozesse mit neuen Systemen optimieren. Die Organisation von Bildungsinstitutionen und somit auch von Hochschulen muss heutzutage wirtschaftlich sein. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die Bildung dem System Wirtschaft unterwirft, sondern dass die Organisation effizienter wird. Hierbei besteht mancherorts die Gefahr, dass die Gelder für den Einsatz der digitalen Medien in der Lehre erst einmal für zehn Jahre verpasste Organisationsentwicklung herhalten müssen.
Lernen benötigt Freiraum und Zeit und darf nicht zu sehr reguliert werden. Dennoch müssen Hochschulen sich ihrer selbst Willen ständig reflektieren und verbessern, um glaubwürdig zu bleiben. Schlagworte wie „Evaluation" und „Qualitätsmanagement" sind in aller Munde, werden jedoch kaum auf Eigeninitiative der Dozenten durchgeführt. Auch hierbei kann der Einsatz von digitalen Medien den Aufwand halbieren. Hochschulen müssen sich als Lernende Organisation verstehen und die veränderte Welt um sie herum nicht ignorieren. Ich spreche nicht von neuen Prüfungsordnungen, sondern einer Veränderung der Lernkultur an den Hochschulen. Dies können Web-2.0-Technologien unterstützen. Sie basieren auf dem Prinzip konstruktivistischen Lernens, indem die Studierenden selbst Inhalte konstruieren. Die Einführung von digitalen Medien kann ein Motor für innovative Lehre sein. Dies kann jedoch nur geschehen, wenn dies die Dozenten wollen und darin einen Mehrwert für sich und ihre eigene Forschung erkennen.