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Wissensmanagement und E-Learning unter Bildungsperspektive
Ausgabe 2009 01

Net Generation: Wer sie ist und was sie wirklich kann

Die zukünftigen Studierenden der Net Generation sind anders und lernen anders, und zwar so grundlegend anders, dass wir neue Konzepte für die Lehre benötigen.


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Web 2.0, Weblogs, Foren, RSS Feeds, E-Learning, Blended Learning: Mit diesen Begriffen werden Studierende des Studienganges Medien und Kommunikation fast täglich an der Universität Augsburg konfrontiert. Doch wissen wir als Studierende mit diesen Fachwörtern umzugehen und wollen wir überhaupt, dass diese Tools die face-to-face Kontakte mit unseren Dozenten ergänzen? Wir alle verfügen über diese Techniken/Medien und nutzen diese auch regelmäßig. Kann man aber aus diesem Grund von einer Net Generation sprechen?

1. Net Generation: Definition und Widersprüchlichkeiten

Bevor man sich einer einheitlichen Definition der Net Generation annimmt, sollte zu Beginn geklärt werden, ob es diese überhaupt gibt. Einige Wissenschaftler haben sich dieser Fragestellung gewidmet und zahlreiche Thesen aufgestellt. Claudia de Witt (2000, nach: Schulmeister, 2008, S. 9) hat folgende Definition aufgestellt: „Die Net-Generation wird zum Leitbild einer vom Computer geprägten Gesellschaft, das flexible und mobile, interdisziplinär und global handelnde, leistungsfähige, effektive und erfolgreiche Menschen repräsentiert.“ (ebd.) Don Tapscott (1998, S. 129 ff.) unterstellte den sogenannten Net-Kids kognitive und psychische Eigenschaften sowie ethische und soziale Einstellungen. Ein Net-Kid experimentiert mit wechselnden Persönlichkeiten und ist intelligenter als Altersgenossen der Generation vor ihm.1  Allerdings stammen diese Ergebnisse aus einer Stichprobe von lediglich 300 Jugendlichen, die bereit waren, aktiv Beiträge in einer solchen Umgebung zu leisten. Ist also somit eine Verallgemeinerung auf die Gesamtheit der Jugend legitim? Für viele Wissenschaftler werden die Schule und die Hochschule infrage gestellt und der bisherige akademische Lehrplan gehört offenbar der Vergangenheit an. „Die Lehrer werden als Wiederkäuer übernommener Fakten hingestellt.“ (Tapscott, 1998, S. 211, nach: Schulmeister, 2008) Als Ideal einer Lehr-Lernmethode wird das „interaktive Lernen“ gesehen. Andere Wissenschaftler gehen sogar soweit, dass in Folge der medienüberfluteten Welt Aufmerksamkeitsstörungen bei Jugendlichen erkennbar sind. Für die Zunahme von sprachgestörten Kindern machen sie die Medien verantwortlich, nicht aber die veränderten interkulturellen Gesellschaftsverhältnisse.

2. Wächst eine internetaffine Generation heran?

Nun stellt sich die Frage, ob die Medien die Freizeitaktivitäten der Jugendlichen ersetzen und ob das Internet das Phänomen Fernsehen bereits überholt hat. Dabei wurden zahlreiche empirische Untersuchungen zur Mediennutzung angestellt, die Antworten auf diese These geben. Herangezogen werden z.B. die älteste Langzeitstudie von ARD und ZDF (ARD/ZDF-Onlinestudie 2008) sowie die Studien des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest „Kinder und Medien, Computer und Internet“ (Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest, 2006, 2008). Fast alle Daten zeigen, dass die Mediennutzung insgesamt gestiegen ist. Es werden mehr Medien genutzt als früher und die Zeitdauer der Mediennutzung hat sich erhöht. Das gilt für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Zur Verteidigung der These der Netzgeneration2 wird häufig vorgebracht, dass es viele Millionen seien, die Web 2.0-Anwendungen nutzen. Gemessen an der Gesamtzahl der Internet-Nutzer handelt es sich dabei jedoch um Minderheiten. Nach der ARD-/ZDF-Onlinestudie (2006) nutzen fünf Prozent der Bevölkerung Web 2.0-Anwendungen täglich und man geht davon aus, dass diese Web 2.0-Technologien stärker von den finanziell besser Gestellten und höher Gebildeten angewandt werden. Allerdings haben die Freizeitaktivitäten jenseits der Medien für Kinder und Jugendliche immer noch die größere Bedeutung. Bei den meisten Untersuchungen steht die Aktivität „mit Freunden zusammen sein“ mit Abstand ganz oben in der Liste der Lieblingsaktivitäten (vgl. Schulmeister, 2008, S. 59). Doch wie sieht es nun aus, wenn die nicht-medialen Freizeitaktivitäten außer Acht gelassen werden? Bei den Erwachsenen ist der Fernseh- und Hörfunkkonsum relativ stabil geblieben. Dagegen verbringen die Jugendlichen mehr Zeit im Netz als mit dem Fernsehen.3 Es darf also der Schluss gezogen werden, dass das Fernsehen nicht mehr das Leitmedium ist und dass andere Medien in dieser Funktion aufgeholt haben.

3. Net Generation: Gibt es sie doch?

Nach der Mediennutzung zu urteilen, kann man die Attribuierung der Jugend als Netzgeneration nicht ganz rechtfertigen. Jugendliche verbringen nach eigener Schätzung fast die Hälfte ihrer Nutzungszeit im Internet mit „Kommunikation", der Rest verteilt sich fast gleichmäßig auf die Bereiche „Information", „Spiele" oder auf „Unterhaltungsangebote" wie Musik, Videos oder Filme. Besonders intensiv werden Online-Communities wie „schülerVZ" oder „studiVZ“ genutzt. Kommunikation ist offenbar selbst innerhalb der Internetaktivitäten das vorrangige Bedürfnis der Jugend. Daran kann man erkennen, dass mehr Mediennutzung nicht automatisch „schlauer“ macht. Es ist nicht zwangsläufig mit einem Übermaß an Computeraktivität und Multitasking-Verhalten ein größerer Erfolg im Bildungsgang verbunden. Das Medienhandeln ist somit nicht immer als Medienkompetenz zu verstehen. „Jungsein ist also nicht zwangsläufig mit Aufgeschlossenheit gegenüber Computer und Internet gleichzusetzen und Nutzung Neuer Medien heißt keineswegs, diese in ihrem vielfältigen Angebot zu durchschauen, sich Wissen über Strukturen und Funktionsweisen anzueignen und Medien den eigenen Zwecken gemäß einsetzen zu können.“ (Schulmeister, 2008, S. 100). Somit muss der Begriff „Net Generation“ problematisch bzw. differenziert angesehen werden. Die Medien sind Teil des Alltags, sie werden als gegeben hingenommen, ganz selbstverständlich genutzt und in normale Sozialisationsprozesse einbezogen. Das bedeutet aber nicht, dass die Medien die Einstellungen der Jugend vorwiegend prägen oder gar NetKids aus ihnen machen (vgl. Schulmeister, 2008, S. 62).

4. Net Generation und Web 2.0: Nutzen Studierende diese Tools wirklich?

Die Masse der Studierenden wünscht sich einen moderaten Einsatz von Medien. Sie schätzen die Präsenzlehre und zeigen eine Vorliebe für Professoren, die engagiert sind und begeistert ihre Forschung präsentieren. Studierende, die Rat und Hilfe suchen, vertrauen eher auf face-to-face Gelegenheiten. Allerdings kann man erkennen, dass die Ernsthaftigkeit in der Beschäftigung mit dem Computer mit der wachsenden Bedeutung des Studiums zunimmt. Der Computer steht für mehrere Medien, die in ihm konvergieren. Er erfüllt unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen, die sich in die Lebenswelt der Studierenden einpassen und nicht umgekehrt. In einer Studie (Paechter, Fritz, Maier & Manhal, 2007) wurden Studierende nach Vor – und Nachteilen der virtuellen Lehre und der Präsenzlehre gefragt. Während die Vorteile, die die Studierenden im E-Learning sehen, sich eher auf didaktisches Design und Unterstützung des individuellen Lernens beziehen, ist die hervorragende Eigenschaft der Präsenzlehre die Unterstützung der Kommunikation. Präsenzunterricht und die damit verbundenen Kontakte der Kommilitonen scheinen eine gute Erklärung für die zurückhaltende Einstellung zu eLearning in der akademischen Lehre abzugeben. Eine weitere Studie (Jadin & Richter, 2008) ging der Frage nach, wie oft Studierenden bestimmte Internet-Anwendungen nutzen. Die täglich genutzten Internetfunktionen demonstrieren deutlich den Nutzwert für das eigene Leben und haben eher einen individuellen Gebrauchswert. Die genannte Studie unterscheidet die Mediennutzung nach drei Aktivitätsformen: (1) Wissensaneignung, (2) Partizipation und (3) Wissensgenerierung. Dabei nimmt die Wissensgenerierung lediglich Rang drei ein und man kann behaupten, dass diese noch nicht ins Bewusstsein der Studierenden gelangt ist. Die Bezeichnung „Wissensgenerierung" umschreibt den Versuch, den „Rohstoff" Information zu handlungsrelevantem Wissen zu „verarbeiten" und auf diesem Wege Wissen allein oder zusammen mit anderen zu konstruieren, folglich neues Wissen aufzubauen und innovative Ideen hervorzubringen. Man könnte auch sagen, Prozesse der Wissensgenerierung sind in ihrer Eigenschaft als Treiber und Generator Basis jedweder Wissensbewegung, indem sie den Stoff, der bewegt werden soll, erst hervorbringen (vgl. Reinmann, 2001). Die Web-2.0-Anwendungen werden also selten im Studium angewendet, der Transfer ihrer Fähigkeiten auf Lernprozesse fällt somit gering aus. Die klassischen Anwendungen schneiden bei den Studierenden besser ab und werden auch höher eingeschätzt. „Der Einsatz von Web 2.0-Methoden zum Lernen stellt enorme Vorbedingungen an die Selbstständigkeit der Lernenden, denn Web 2.0 beruht auf zwei nicht ganz selbstverständliche [sic!] Säulen des Lernens: der Bereitschaft zum kooperativen Lernen und dem Willen zum Feedback. Beide setzen Selbstorganisation voraus, das ‚Kernstück der Web 2.0-Bewegung‘. (Reinmann, 2008) Selbstorganisation kann aber nicht bei allen Lernenden vorausgesetzt werden, eher bei einer Minderheit von Lernenden, wie die vielen Studien und Zeugnisse zu dem hohen Anteil von Studierenden zeigen, die zur Prokrastination oder zum Lurking neigen.“ (Schulmeister, 2008, S. 111) Hier wird nun die Frage gestellt, wie und wo Web 2.0 gewinnbringend eingesetzt werden kann. Kann man überhaupt mit diesen Anwendungen metakognitive Fähigkeiten erwerben und diese in formalisierte Lernumgebungen integrieren? Möglicherweise können Web 2.0-Methoden tatsächlich Selbstorganisation befördern, aber eben nicht in dem automatischen, leichten und schnellen Weg, den sich mancher wünscht.

5. Media Generation statt Net Generation?

Von einer Mediengeneration kann man sicherlich sprechen, denn nie zuvor hat eine Generation so viele Medien zur Verfügung gehabt und so extensiv genutzt. Die Medien werden immer preiswerter, es ist daher nicht verwunderlich, dass der Medienkonsum bei Jugendlichen immer wächst. Heute ist ein Überfluss an Medien vorhanden, vom iPod über das Handy, Playstation, Computer. Viele dieser Geräte gehören inzwischen zur Alltagskultur. Wenn man nun noch einmal die Forderung der Wissenschaftler nach einer neuen Lehre hin zum interaktiven Lernen betrachtet, ist dies gar nicht so weit weg von modernen didaktischen Konzepten.4 Doch sollte man zuerst die Bedürfnisse der SchülerInnen und Studierenden betrachten und nicht von einer bestehenden Netzgeneration ausgehen, die es in dieser Form gar nicht gibt. Der Hype um die Mediennutzung wird auf den Boden der Wirklichkeit zurückgeholt, denn die Medien dienen vor allem als Mittel zum Zweck und werden für Ziele genutzt, die man ohnehin anstrebt. Ein Transfer der durch den Umgang mit dem Computer erworbenen Kompetenzen auf das Lernen scheint noch nicht – oder zumindest nicht in dem erwarteten Maße – stattzufinden. Digitale Medien können in die eigene Lebenswelt eingebettet werden, nicht aber Einstellungen, Sehnsüchte und Wünsche prägen.


  1. Weitere Eigenschaften sind: Der Jugendliche der Netzgeneration ist besonders tolerant gegenüber ethnischen Minderheiten und verfügt über eine speziell ausgeprägte Neugierde. Er entwickelt mehr Selbstbewusstsein sowie Selbständigkeit als frühere Generationen und besitzt Mut zu Widersprüchen (vgl. Tapscott, 1998, S. 129 ff.).
  2. Gemeint sind die jetzt und demnächst auf die Hochschulen zukommenden Studierenden-Jahrgänge, die mit den digitalen Medien und dem Internet aufgewachsen sind. Den Jugendlichen wird digitales Fachwissen unterstellt, der Abgesang des Fernsehens wird prognostiziert.
  3. Nach der aktuellen ARD-/ZDF-Onlinestudie (2008) haben sich zwei Bilder entwickelt. Bei den Erwachsenen ab 20 Jahren ist der Medienkonsum zwar gestiegen, doch der Fernseh – und Hörfunkkonsum ist relativ stabil geblieben, d.h. das Internet steht auf Rang 3. Ein anderes Bild zeichnet sich bei den 14- bis 19-Jährigen ab: Mit 120 Minuten täglich verbringen sie mehr Zeit im Netz als mit fernsehen (100 Minuten) oder Radio hören (97 Minuten) (Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest, 2008).
  4. Z.B. gehen die konstruktivistischen Ansätze davon aus, dass Lernen ein konstruktiver Prozess ist und behaupten, dass jeder Lernende auf der Grundlage seiner Erfahrung lernt, dabei eigene Werte, Überzeugungen, Muster und Vorerfahrungen einsetzt. Dabei ist es entscheidend, inwieweit es dem Lernenden gelingt, eine eigene Perspektive auf sein Lernen einzunehmen, indem er sich motiviert, sein Lernen selbst organisiert, sich seiner Muster und Schematisierungen bewusst wird und diese handlungsorientiert entwickelt (vgl. Stangl-Taller, 2009).

Literatur

Boenisch, J. (2009). Net Generation: Wer sie ist und was sie wirklich kann. w.e.b.Square, 01/09. URL: http://websquare.imb-uni-augsburg.de/2009-01/7.

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