Werbung, der Stoff aus dem die Träume sind - Träume von Luxus, von ewiger Jugend, von Attraktivität und Erfolg. Dahinter steckt eine handfeste Industrie: deutsche Unternehmen gaben 2011 laut Nielsen rund 30 Milliarden Euro für Werbung aus. Die Tendenz ist steigend - vor allem im Bereich Online-Werbung, in die mittlerweile jeder zehnte Werbeeuro fließt. Entsprechend wächst auch der Bedarf an Marktforschung, die Aussagen darüber trifft welche Maßnahmen in welchen Kontexten am besten funktionieren. Von den Universitäten erhofft man sich methodische Experten, sowohl mit Fachwissen über psychologische Mechanismen und die Analyse sozialer Nutzungsformen bei Zielgruppen, als auch mit der Kompetenz sich in verschiedene Lebenswelten einzufühlen. Ein Werbeexperte antizipiert Wünsche und Bedürfnisse der Kunden und weiß wie weit er „gehen kann", mal ist er provokant, mal konservativ, mal intelligent, mal stupide. Dem gegenüber steht ein kritisches Bild der Werbebranche, wie es Frédéric Beigbeder 2001 in seinem Roman „99 francs" zeichnet: das Bild einer Branche, die hinter ihrem künstlerisch-kreativen Anspruch zurückbleibt und die Welt mit wert- und verantwortungslosen Botschaften „verschmutzt".
Was bedeuten diese Rahmenbedingungen für das Fachgebiet Werbepsychologie an den Universitäten? Wenn Werbepsychologie als reine „Propagandawissenschaft" betrieben wird, wird es dem Anspruch eines Hochschulstudiums nach dem humboldtschen Ideal bestimmt nicht gerecht. Humboldt forderte die Hochschule als Ort, der mündige, selbstbestimmte und vor allem vernünftige Individuen hervorbringt. Neben dem Erlernen des methodischen Handwerkszeugs und der Theorien zur Wirkung von Botschaften auf Menschen muss eine Sensibilisierung stehen. Wer Werbung in seinem Studium auch unter sozialpsychologischen Aspekten betrachtet wird schnell feststellen, dass Werbung verzerrt und altbewährte Stereotypen oder Geschlechterbilder öfter fördert, als dass es sie bricht. Trotz der ästhetischen Aufmachung ist Werbung damit ein Element, das rückwärts gerichtet und nur in Ausnahmefällen wirklich kreativ oder innovativ ist. Trotzdem bleiben uns die kreativen Beispiele, wie z.B. die weniger schlanken Frauen aus der Dove-Werbung, im Kopf hängen, eben weil sie nicht in die „Schöne-Geile-Welt" Logik der Werbung passen und Klischees aufdecken.
Der Kurs Werbepsychologie, den ich 2010 für die Universität Augsburg konzipiert habe, integriert in seinem Konzept das psychologische Handwerkszeug der Werbung und die kritische sozialwissenschaftliche Reflexion der Branche. Einige der gelungensten studentischen Arbeiten, die im Rahmen des Seminars entstanden sind, bilden die Grundlage für diese w.e.b.Square-Ausgabe. Thematisch ist der Bogen weit gespannt: Manuel Glückler blickt in seiner Arbeit auf die Grabenkämpfe, die zwischen Marktforschern und Werbepraktikern ausgefochten werden, wenn es um die effektivsten Methoden zur Gestaltung von Werbung geht. Andere Arbeiten fokussieren sich stärker, wie die von Melanie Reiter, die eine konkrete Studie zur Wirkung von Werbung auf Kinder herausgreift und kritisch diskutiert. Um Gender-Aspekte hingegen geht es in Simone Klauers Beitrag: Sie stellt mehrere Studien gegenüber und schlüsselt differenziert auf, wann Werbung auf Frauen und Männer unterschiedlich wirkt - beziehungsweise wann man von einer einheitlichen Wirkung auf die Geschlechter ausgehen kann. Bei Letzterer setzt Julian Kuhns Artikel über Konditionierung an. Ausgehend von der Feststellung, dass in der Werbung hauptsächlich junge, erfolgreiche und attraktive Werbefiguren genutzt werden („Sex sells") bespricht er Phänomene der Konditionierung, die von einer einheitlichen Werbewirkung ausgehen. Anschließend analysiert er einen Werbespot einer bekannten Duschgel-Marke und deckt auf, dass darin geschickte Konditionierungsversuche eingebaut sind, die man erst auf den zweiten Blick entdeckt. Jens Hansen wählt eine andere Perspektive: Er bespricht eine Studie, die das forschungspraktisch aktuellere Involvement-Konstrukt untersucht, welches davon ausgeht, dass Werbung sehr stark von der Rezeptionssituation (aktiv vs. passiv) abhängig ist, was die Wirkung angeht. Auch die Praxisperspektive kommt nicht zu kurz, wenn Marlene Zehnter einen Prozess managementorientierter Werbegestaltung aufgreift, der sowohl den „Bauchmenschen" unter den Werbern Spielraum lässt, als auch Elemente der Marktforschung einbezieht.
Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre der Ausgabe.
Augsburg im September 2012,
Philip Meyer
Meyer, P. (2012). Den Werbewald trotz Bäumen sehen. Perspektiven und Erkenntnisse der Werbepsychologie. Editorial. webSquare, 01/2012. URL: http://websquare.imb-uni-augsb...
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