Login
|
Impressum
|
Über uns
|
Kontakt
w.e.b.Square
Wissensmanagement und E-Learning unter Bildungsperspektive
Ausgabe 2010 04

Wie virtuell darf`s denn sein: Zielloses Twitter-Gewitter oder hilfreiches Denkwerkzeug?

Gedanken zum Einsatz von Twitter auf wissenschaftlichen Tagungen, illustriert am Beispiel der GMW09


7_Bergmann_Titze_Meyer2.jpg

Twitter- von manchen geliebt und hochgelobt, von anderen ungenutzt und verteufelt, jedoch auf jeden Fall gerade hochaktuell in der Diskussion. Gerade der Gebrauch von Twitter und Twitterwalls zur als Kommunikations- und Mitmach-Werkzeug während Tagungen ist sehr umstritten. Inwiefern kann die Nutzung dieses noch recht neuen Dienstes solche Tagungen bereichern, und was sollte dabei beachtet werden? Am Beispiel der Tagung der Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft (GMW) e.V. geht dieser Artikel eben jener Fragestellung nach. Er beleuchtet sowohl Vorteile wie auch aufgetretene Probleme und gibt Lösungsvorschläge und Anwendungsbeispiele.

Deutschland zwitschert: Inzwischen gibt es im deutschsprachigen Raum über 200 000 aktive Nutzer beim Online-Dienst Twitter (www.twitter.com, Webevangelisten 2010). Somit ist das Phänomen Twitter auch bei uns allgegenwärtig. Twitter zählt zu den Kurznachrichtendiensten, dem sogenanntes Mikroblogging, der es seinen Nutzern ermöglicht, in 140 Zeichen Mitteilungen zu verbreiten. Die Verbreitung geschieht einerseits über ein Freundesnetzwerk, aber auch über sogenannte Hashtags, die es dem Nutzer ermöglichen seine Tweets - also seine Kurznachrichten - zu einem bestimmten Thema mit anderen Interessenten zu teilen. Dies geschieht über die Markierung von Schlagwörtern durch ein vorgestelltes #-Zeichen (ITWissen.info, 2010). Der Einsatz ist vielfältig: Nicht nur im privaten Gebrauch oder im Bereich Online-Marketing hat sich der Mikroblogging-Dienst etabliert, auch vor wissenschaftlichen Tagungen und Konferenzen hat das Gezwitscher nicht haltgemacht. Die Reaktionen darauf sind durchaus unterschiedlich, die Palette reicht von absoluten Befürwortern ...

Twitter ist für mich ein Denkwerkzeug: Gedanken, die ich während eines Vortrags habe und ich für wichtig halte, twittere ich. Damit werden sie zu Gedankenimpulsen für die anderen Twitterer, die wiederum ihre Gedanken twittern, die ebenso Impulse für mich sind usw. Wird eine Twitterwall gezeigt, können auch die nichtwitternden Personen derartige Impulse bekommen. Über Twitter verarbeitet das Publikum die Vorträge aktiv und gemeinsam - was wünscht man sich als Vortragender mehr?"

(Christian Spannagel)

... bis hin zu skeptischen Kritikern:

Bislang kann ich mich dafür eher wenig erwärmen, auch wenn es ganz nett ist, all die Kommentare zu lesen. Ob man wirklich von Partizipation sprechen kann, wenn der eine oder andere Kommentar dann in "realen Diskussionen" aufgegriffen wird, bezweifle ich."

(Gabi Reinmann)

Wie virtuell darf's denn sein?  - Diese Frage stellten wir uns im Rahmen des Seminars „Vom Hype zum Standardinstrument: Web 2.0 und Non-Profit-PR"  (Universität Augsburg, Wintersemester 2009/10). Aufbauend auf theoretisch erworbenen Inhalten zu Themen wie Web 2.0, PR/Non-Profit-PR und Wissenschaftskommunikation sollten Kommunikationskonzepte für den Praxispartner „Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft (GMW) e.V." erarbeitet werden. Wir beschäftigten uns mit den Integrationsmöglichkeiten digitaler Medien in die Kommunikationsstrategie von Non-Profit-Organisationen, beispielhaft vertreten durch die GMW.

Die GMW organisierte im Jahr 2009 eine Tagung, bei der einzelne Elemente des Web 2.0 bereits umgesetzt wurden, was aber in der Folge zu kontroversen Diskussionen führte. Die genannten Pro- und Kontra-Positionen werden später noch ausführlich beschrieben.

Um einen Mehrwert für weitere Tagungen aus dieser Kontroverse herauszufiltern, haben wir die Kritikpunkte als Anregungen für ein Tagungskonzept mit bewusster Integration dieser digitalen Medien genutzt. Die Grundlage unserer Arbeit bildete eine Inhaltsanalyse des „Evaluationsblog E-Learning 2009", einer Sammlung aller relevanten Blogeinträge zur Tagung. Gestützt auf die Ergebnisse der Inhaltsanalyse sollte ein Konzept dazu entstehen, wie neue Medien sinnvoll und reibungslos in eine GMW-Tagung integriert werden können. Der Fokus lag dabei auf dem Mikroblogging-Dienst Twitter: Handelt es sich bei den Twitter-Beiträgen zur Tagung um ein zielloses, unübersichtliches und wenig konstruktives „Twitter-Gewitter" (Wedekind, 2009) oder kann den 140-Zeichen-Nachrichten ein echter Mehrwert für eine wissenschaftliche Tagung zugesprochen werden?

Auf den Zahn gefühlt: Wie kam die GMW 2009 tatsächlich an?

Um aus der Fülle der reflektierenden Blogeinträge verwertbare Ergebnisse zu filtern, erstellten wir nach Mayrings (2002) Ablaufplan zur Durchführung einer Inhaltsanalyse ein Codebuch. Die Leitfrage lautete: Wie können digitale Medien das Tagungskonzept der Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft e.V. verbessern? Andere Aspekte der Texte wurden nicht kodiert. Die dazu entwickelten Kategorien bezogen sich zum einen auf die Bestimmung der Blogbeiträge und zum anderen auf die Meinungen, die die Autoren in ihrem Text deutlich machten. Der Aufbau des Codebuches sieht wie folgt aus: Nach Variablen für Autor, Überschrift, Veröffentlichungsdatum und Länge des Textes schließt sich eine grobe Einordnung des Textes an: Ist der Text vom Stil eher ein Bericht oder ein Meinungsartikel und mit welchem Thema befasst sich der Autor vornehmlich? Die Kategorien sieben bis zwölf beschäftigen sich genauer mit dem Autor und seinem Blog: Wie alt ist der Blogger, welche Position hat er inne, wie oft war dieser bereits auf Tagungen und hielt er auch Vorträge oder war er nur Zuhörer? Zur Bestimmung der Popularität und des Einflusses des Bloggers dienten einerseits die Anzahl der Verlinkungen in der Blogrolle und andererseits die Zahl der Kommentare zum analysierten Beitrag. Beide Methoden können allerdings nicht mit absoluter Sicherheit  Auskunft über das Ansehen des Bloggers geben, da einerseits auch ein Neueinsteiger viele bekannte Blogs verlinken kann, ohne selbst großen Einfluss zu haben, und andererseits die bedeutendsten Edu-Blogger in Deutschland aufgrund der hierzulande herrschenden unterentwickelten Kommentarkultur nur wenige Kommentare erhalten (Schulmeister, 2010).

Ab Variable 13 ermittelten wir die Aussagen zur Integration von Twitter in einen Tagungsablauf: Hier vermerkten wir den Kritikpunkt zur Tagung an sich, ob es sich um eine allgemeine Kritik oder einen Einzelfall handelte, ob die Bewertung gut, schlecht oder ambivalent ausfiel und hielten in offenen Variablen fest, was genau Gegenstand der Kritik war und welcher Verbesserungsvorschlag genannt wurde.

In die Auswertung flossen schließlich 26 von 30 untersuchten Blogbeiträgen ein. Die nichtcodierten Beiträge beschäftigten sich mit für die Untersuchung irrelevanten Themen. Die ausgewerteten Beiträge stammten von 23 unterschiedlichen Bloggern. Bei einer Teilnehmeranzahl von 450 bedeutet das, dass lediglich fünf Prozent der Teilnehmer öffentlich online reflektiert hatten.  

Betrachtet man die Themenverteilung, beziehen sich 135 Kritikpunkte auf folgende Themenbereiche:

Tabelle 1: Themenverteilung der Kritikpunkte nach Häufigkeit

Kritikpunkt (V13)

Häufigkeit

Twitter als Medium

30

Twitter während des Vortrags

18

Tagung

15

Organisation

13

Podiumsdiskussion

13

Sonstiges

46

Insgesamt wird Twitter 58-mal als Kritikpunkt in den Blogbeiträgen thematisiert, was einem Anteil von 43,6 Prozent an allen Kritikpunkten ausmacht. Dies war der entscheidende Anstoß, Twitter ins Zentrum unseres Kommunikationskonzepts zu stellen, da dieser Aspekt die meisten Kritikpunkte auf sich vereinte. Wie kontrovers die Meinungen zu Twitter sind, zeigen folgende Argumente, die sich bei der qualitativen Analyse aus den untersuchten Blogbeiträgen herausgestellt hatten:

Tabelle 2: Zusammenfassung und Gegenüberstellung der Argumente zu dem Medium Twitter

POSITIV

NEGATIV

Twitter ermöglicht eine Diskussion während des Vortrags.

Die Twitterwall ist unkommunikativ, da sie vom Redner nicht einsehbar ist.

Twitter ermöglicht eine aktivere Verarbeitung des Gehörten.

Durch Twitter gehen die Wortmeldungen zurück.

Twitter liefert Denkanstöße für die Diskussion nach dem Vortrag.

Twitter lenkt vom eigentlichen Vortrag ab.

Twitter fördert die Vernetzung unter den Teilnehmern.

Das Twittern „hinter dem Rücken" des Redners ist unhöflich.

Twitter ermöglicht Nichtanwesenden, dennoch an der Diskussion teilzunehmen.

Tweets nur einzublenden reicht nicht, um Interaktivität zu erreichen.

Die Verbindung der Tagung mit Web 2.0-Elementen bringt Praxisnähe.

 

Weiterhin ist aber festzustellen, dass die negative Kritik sich hauptsächlich gegen die Nutzung von Twitter während der GMW Tagung richtet - das Tool an sich wurde tendenziell positiv bewertet. Aus diesem Grund ergaben sich für uns folgende Fragen:

1. Wie kann Twitter sinnvoll in ein Tagungsformat integriert werden?

2. Welche Grundregeln sind dafür nötig?

3. Wie kann eine Podiumsdiskussion sinnvoll durch Twitter ergänzt werden?

Die Vorteile von Twitter sind weitläufig bekannt. Der Mikroblogging-Dienst ermöglicht es, nahezu in Echtzeit Kurznachrichten zu veröffentlichen und zu lesen, um so mit anderen Menschen zu kommunizieren und in Kontakt zu treten. Ein solches Tool kann auch auf einer Tagung sinnvoll sein, da solche Ereignisse auf öffentlichen Diskurs ausgelegt sind. Twitter ermöglicht den Teilnehmern, unmittelbar Feedback abzugeben, noch während Präsentationen laufen. Twitter-affine Redner können sogar das Feedback während der Präsentation aufnehmen und direkt darauf eingehen.  

Daneben dienen Tagungen dazu, Kontakte zu knüpfen, wofür Twitter, wie bereits erwähnt, eine ausgezeichnete Ergänzung darstellt, da die hier veröffentlichten Meinungen und Kommentare einen idealen Anknüpfungspunkt für Gespräche bieten. Die Kehrseite hiervon ist jedoch, dass auch privater Diskurs über einige Twitteraccounts publiziert wird. Entstehen neue berufliche Follower, muss hier ein thematischer Kompromiss gefunden werden. Wenn das Tagungskonzept nicht bewusst Twitter einbindet, kann unüberlegtes Twittern schnell in Kritik ausarten, wie sie in den Blogs zur GMW geäußert wurde. Durch das Aufstellen von sogenannten Twitterwalls (also Leinwänden mit allen aktuellen Tweets zur Tagung) hat man bisher zwar den Versuch unternommen, Twitter als Tagungsinstrument zu integrieren, hat es aber versäumt, zum einen den Sinn und Mehrwert dieses Tools abzuklären und zum anderen gemeinsame Regeln zum Gebrauch des Mediums aufzustellen.

Immer höflich bleiben: Die Twitter-Etiquette

Auf diesen  Überlegungen aufbauend haben wir ein Kommunikationskonzept entwickelt und entschieden, eine Twitter-Etiquette zusammenzustellen. Diese Regelsammlung behandelt  zunächst - angelehnt an eine Netiquette - das Thema Höflichkeit, denn dies war einer der großen Kritikpunkte der Inhaltsanalyse. Sie soll aber auch die Rolle und Aufgabe von Twitter als Tagungsinstrument klären und infolgedessen den Mehrwert des Tools für eine Tagung verdeutlichen. Um eine übersichtliche Gestaltung zu gewährleisten, entschieden wir uns für fünf kurze Regeln, veranschaulicht im Akronym TWEET:

1. T ieftritte verboten!

2. W irkung nach außen

3. E infach verständlich

4. E reignisbezug

5. T argets

1. Tieftritte verboten!

Bei einem Vortrag würde es wohl keinem einfallen, dem Redner Beleidigungen ins Gesicht zu sagen. Auch wenn die Hemmschwelle im virtuellen Raum geringer ist, sollte die Achtung vor den anderen auch dann bestehen, wenn man twittert. Gerade wenn der Vortragende mit dem Rücken zur Twitterwall steht, ist es respektlos, sich hinterrücks über ihn zu beschweren.

2. Wirkung nach außen

Bei Twitter kann jeder mitmachen und jeder kann mitlesen. Doch auch wenn man die Freiheit hat, alles auszusprechen und andere daran teilhaben zu lassen, muss man sich überlegen, welcher Eindruck dadurch bei anderen Usern zurückbleibt. Mit den Tweets wird die komplette Tagung nach außen repräsentiert. Kritik ist dabei nicht verkehrt, sondern sogar erwünscht. Jedoch sollte man die Kritik begründet und sachlich anbringen. So wird gewährleistet, dass zum einen die Diskussion innerhalb der Tagung angeregt wird, zum anderen auch ein differenziertes Bild nach außen kommuniziert wird.

3. Einfach verständlich

Mit Twitter können andere Tagungsteilnehmer oder abwesende Wissenschaftler informiert, über bestimmte Standpunkte in Kenntnis gesetzt und mit in die Diskussion eingebunden werden. Doch damit das möglich ist, müssen die anderen auch wissen, worum es gerade geht. Über 140 Zeichen komplexe Inhalte zu vermitteln kann schwierig werden, jedoch erleichtert eine einfache Sprache die Verständlichkeit und den Einstieg in die Diskussion. Hierzu zählt auch, dass stets klar ist, auf welchen Vortrag sich der Tweet bezieht.

4. Ereignisbezug

Privat werden oft persönliche Inhalte und Botschaften via Twitter übermittelt. In ihrer Funktion als Kommunikationsinstrument auf Tagungen sollten sich die Tweets zum Großteil auf tagungsrelevante Inhalte beziehen, um so die Aufmerksamkeit und das Interesse der Tagungsbesucher zu steigern. Zudem bleibt so auch eine gewisse Übersichtlichkeit gewahrt.

Es muss außerdem ersichtlich sein, welche der gerade laufenden Vorträge oder Diskussionen aufgegriffen werden. Hierzu wäre zu empfehlen, eindeutige Hashtags zu verwenden. Statt einem Hashtag #gmw2010 könnten zum Beispiel Raum oder Vortragender spezifiziert werden - etwa im Stile von #gmw10a etc. - um auf den ersten Blick ersichtlich zu machen, welchen Gegenstand der Tweet behandelt.

5. Targets

Twitter erfüllt auf Tagungen besonders drei Funktionen: Repräsentation nach außen, Anregen der Diskussion und Herausgreifen von Hauptthesen. Wenn diese Hauptkommunikationsziele ineinander greifen und zusätzlich die anderen Regeln der Twitter-Etiquette befolgt werden, kann mit Twitter der wissenschaftliche Diskurs gefördert werden. Das Tool legitimiert sich damit als Tagungswerkzeug; möglichen Unstimmigkeiten unter den Tagungsteilnehmern wird entgegengewirkt, da eine gemeinsame Basis besteht.

Von der Pressekonferenz zum interaktiven Diskussionsforum: Königsdisziplin Podiumsdiskussion

Die Inhaltsanalyse ergab, dass die Podiumsdiskussion bei der letzten GMW-Tagung aus verschiedenen Gründen keine gute Resonanz erhalten hat. Die Kritikpunkte besagten vor allem, dass die Moderatoren zu wenig zu Diskussionen aufgefordert hätten und so die Podiumsdiskussion in den Stil einer Pressekonferenz verfallen sei. Das Publikum sei durch diese mangelnde Einbeziehung in eine passive Rolle gedrängt worden.

Daraufhin erarbeiteten wir ein Konzept zum Aufbau einer Podiumsdiskussion, die das Medium Twitter integriert und die vorher dargestellten Probleme verhindern soll. Zu dem Moderator, der die Diskussion unter den Teilnehmern leitet und Fragen stellt, kommt ein weiterer Twitter-Moderator hinzu. Er verwaltet die Tweets aus dem Publikum, welche auf einer Twitterwall neben der Bühne angezeigt werden.

Dabei findet eine wechselseitige Kommunikation zwischen Twitter-Moderator und Publikum sowie zwischen Twitter-Moderator und dem Diskussionsleiter der Podiumsdiskussion statt. Wie bisher üblich werden Kommentare und Fragen aus dem Publikum durch den Moderator entgegen genommen, um so eine mögliche Vernachlässigung von Wortmeldungen aufgrund von Twitter zu vermeiden. Neu dagegen ist, dass neben den Wortmeldungen die Zuhörer im Publikum auch ihre Gedanken über die Twitter-Leinwand der Öffentlichkeit mitteilen. Der Twitter-Manager gibt anregende Tweets aus dem Plenum an geeigneter Stelle an den Moderator oder direkt an die Diskussionsteilnehmer weiter, so dass die Meldungen auf der Twitterwall nicht unbeachtet neben der Diskussion herlaufen, sondern dort auch aufgegriffen und eventuell vertieft werden können.

Die Veränderung besteht also darin, zwei Moderatoren mit verschiedenen Funktionen einzusetzen, wobei einer die klassischen Aufgaben von Leitung und Anregung der Diskussion inne hat, während der andere Moderator zum Sprachrohr der Twitternden wird, die Tweets auf der Twitterwall betreut und in die Diskussion einbringt. Die Möglichkeit zur Teilnahme an der Diskussion soll aber auch weiterhin über die Meldungen aus dem Publikum bestehen. So wird gewährleistet, dass sowohl die Zuschauer als auch das Medium Twitter in die Podiumsdiskussion mit integriert werden und Twitter nicht als Störfaktor neben der Diskussion auftritt.

Twitter killed the Blogging Star

Was bedeutet dieser neue Trend des Twitterns für das das klassische Blogging? Hat dieses Format, ausgedient? Oder wird sich die Wissenschaftsgemeinde zukünftig in Twitterer und Blogger spalten?
Fakt ist, dass während der GMW 2009 zu einem Rückgang der Blogs zugunsten des Einsatzes von Twitter kam. Dies zeigten sowohl die quantitative Inhaltsanalyse der Blogs als auch einzelne Äußerungen  von Teilnehmern, wie hier beispielsweise Gabi Reinmann: „Noch letztes Jahr und vor allem die Jahre zuvor gab es Live-Blogging zur GMW-Tagung, mindestens aber sehr zeitnahe kürzere und längere Kommentare und Reflexionen in diversen Blogs. Heute - während und jetzt kurz nach der GMW 2009 - müssen wir uns mit Kurznachrichten via Twitter begnügen" (Reinmann, 2009). Nicht nur neue Teilnehmer, auch routinierte Blogger, wie z.B. Christian Spannagel, Professor für Mathematik an der PH Heidelberg, vollzogen den Wechsel zu Twitter. Dabei sollten die Ergebnisse allerdings nicht überinterpretiert werden. Twitter war zum Zeitpunkt der Tagung ein relativ neues Format, das sehr viel Aufmerksamkeit auf sich zog. Ob die Auswirkungen tatsächlich so groß sind, bleibt abzuwarten. Zudem sollte man nicht dem allgemeinen Trugschluss erliegen, dass Twittern und Blogging in Konkurrenz zueinander stehen. Im Gegenteil, die Formate können durchaus eine sinnvolle Ergänzung des jeweils anderen darstellen. Die entscheidende Frage in dieser Diskussion sollte also nicht lauten „Nutze ich Twitter oder Blogging?", sondern vielmehr „Wie nutze ich Twitter und Blogging?"

Eine solche Kombination allerdings erscheint nicht ganz unproblematisch, da beide Formate sehr unterschiedliche Funktionsweisen haben. So handelt es sich bei Twitter um ein sehr direktes, unmittelbares Medium. Aufgrund der Kürze der Tweets sind diese gut geeignet, um Aktuelles sofort zu kommentieren und zu verbreiten. Dadurch ist Twitter sehr flexibel und dynamisch. Sowohl Verbreitung als auch Rezeption vollziehen sich innerhalb kürzester Zeit. So können Ereignisse, wie zum Beispiel Vorträge auf Tagungen beinahe synchron kommentiert werden, was den laufenden Diskurs bereichern kann.
Blogs sind hingegen meist viel länger und ausführlicher. Aufgrund der Zeit, die sowohl zum Verfassen als auch zum Lesen benötigt wird, können sie eher als starr betrachtet werden. Dieser Effekt wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass Blogs durch ihre Ausführlichkeit einen höheren Reflexionsgrad des Autors erfordern. Es ist somit schwieriger, zeitgleich zu aktuellen Geschehnissen zu bloggen. In dieser Beschränkung des Tools liegt jedoch gleichzeitig seine Stärke. Im Gegensatz zu kurzen Tweets sind Blogs in der Lage, ein ausführliches und differenziertes Bild zu kommunizieren. Besonders komplexere und vielschichtige Inhalte bedürfen einer größeren Textmenge. In der Kommentarfunktion kann von Lesern direkt Bezug auf das Geschriebene genommen und diskutiert werden. Diese Möglichkeit ist bei Twitter nur eingeschränkt vorhanden. Wie in den Reflexionsblogs zur GMW-Tagung gesehen, können sich aus diesen Kommentierungen sehr ergiebige und interessante Diskussionen ergeben. Außerdem haben Blogs den Vorteil der Persistenz. Sie sind schlichtweg dauerhafter als Tweets. Während letztere meist bereits nach einigen Tagen im „virtuellen Niemandsland" verschwunden sind, ist es möglich, auch weit zurückliegende Blogbeiträge jederzeit aufzurufen, ja sogar erneut zu kommentieren. Diese dauerhafte Verfügbarkeit der Blogs macht sie gerade hinsichtlich Ergebnissicherung und Erfahrungsgewinn besonders wertvoll.

Wie kann allerdings nun eine Kombination beider Formate in der Praxis aussehen? Ein erster Versuch wäre dabei der zeitlich getrennte Einsatz beider Medien. Twitter als direktes und dynamisches Kommunikationsinstrument eignet sich demnach besonders gut für den Einsatz während der Tagung. Durch kurze Tweets können das Tagungsgeschehen unmittelbar kommentiert oder eine Diskussion angeregt werden. Zudem kann Twitter genutzt werden, um Nicht-Anwesende im Stile eines News-Tickers über das aktuelle Geschehen stichpunktartig zu informieren. Ergänzende Tools wie eine Twitterwall machen die Nachrichten zudem für alle Tagungsteilnehmer zugänglich.

Blogs dagegen sind durch ihre Struktur nur sehr bedingt für den Einsatz unmittelbar während der Tagung geeignet. Sie eignen sich besser für die Nachbereitung im Anschluss an eine Tagung. Hier kann die Länge der Beiträge genutzt werden, um ein differenziertes Bild wiederzugeben oder eine abschließende Beurteilung eines Vortrages oder einer Tagung abzugeben. Außerdem kann Blogging zur persönlichen Reflexion genutzt werden. Auch der Vorteil der Persistenz kommt hier voll zum Tragen, da wichtige Aussagen, Erkenntnisse oder Fragen dauerhaft festgehalten und hier noch einmal in großer Runde kommentiert und diskutiert werden können. So entsteht Raum für konstruktive Kritik und gemeinsame Lösungsfindung.

Twitter und Blogging müssen also nicht in direkter Konkurrenz stehen, sondern können durchaus eine gemeinsame Zukunft haben. Wichtig ist dabei, dass beide Instrumente aktiv ineinandergreifen, indem beispielsweise wichtige Aussagen und Fragen, die während der Tagung getwittert wurden, gesammelt und später in den Blogeinträgen wieder angesprochen werden. So kann eine Synthese geschaffen werden, um die Vorteile beider Tools, besonders im Einsatz auf Tagungen, optimal zu nutzen.

Fazit

Die hohen Nutzungszahlen von Twitter sowie deren rasanter Anstieg 2009 machten dieses Thema zu einem hochinteressanten und topaktuellen Forschungsfeld. Besonders die Einsatzmöglichkeiten auf Tagungen stellten dabei interessantes Neuland für Untersuchungen dar. Hierfür bot die GMW 2009 den idealen Rahmen, da das neue Tool hier bereits vermehrt zum Einsatz kam und medienaffine Teilnehmer vertreten waren. Als erprobtes Mittel und einzige Möglichkeit, den Einsatz von Twitter auf der Tagung im Nachhinein nachzuvollziehen, stellte sich dabei die Inhaltsanalyse der Blogbeiträge zu dieser Veranstaltung heraus. Sie gab einen guten Einblick in den Grundtenor der Teilnehmer. So konnten - in einem zweiten Schritt - anhand der geäußerten Kritik Probleme analysiert und Lösungsvorschläge zu einer besseren Integration von Twitter auf Tagungen geliefert werden.

Da das Konzept am Ende des Seminars vor einigen Tagungsteilnehmern (u.a. Christian Spannagel, Gabi Reinmann) präsentiert wurde, lässt sich auch ein kurzer Einblick in die Akzeptanz der Ideen geben. So wurde die grundsätzliche Idee einer Twitter-Etiquette von allen Anwesenden akzeptiert, wobei die Beschränkung auf „ereignisbezogenes" Twittern für Kontroversen sorgte. Persönliche Tweets im Zuge des „Networkings" wurden daher vehement verteidigt, während andere diesen nicht viel abgewinnen konnten. Hierbei muss betont werden, dass solche Tweets nicht verboten, sondern lediglich reduziert werden sollen, sodass sich niemand zu sehr beschränkt oder belästigt fühlt. 

Auch wenn die Analyse der Blogbeiträge ergiebig war,  lässt sich die Auswertung dennoch kritisch hinterfragen: Da wir nur die Meinung der Blogger betrachteten, wurden Teilnehmer, die lediglich über Twitter oder eben nicht-öffentlich reflektierten, vollkommen außen vor gelassen. Dies führt unter Umständen zu einem verzerrten Bild der Meinung über Twitter. Abschließend lässt sich jedoch sagen, dass Twitter für den Einsatz auf Tagungen großes Potential bietet , das weiterhin genutzt werden sollte; die Anwender sollten sich aber einiger Grundregeln und der Kurzlebigkeit der Tweets bewusst sein.


Literatur

ITWissen.info (2010): Twitter. URL: http://www.itwissen.info/definition/lexikon/Twitter-twitter.html (26.08.2010).

Mayring, P. (2002). Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken. Weinheim und Basel: Beltz.

Reinmann, Gabi (2009): GMW 2009 - altmodischer Rückblick (17.09.2009). URL: http://gabi-reinmann.de/?p=1360 (26.08.2010).

Schulmeister, Rolf (2010): Ansichten zur Kommentarkultur in Weblogs. URL: http://www.zhw.uni-hamburg.de/uploads/ansichten-zur-kommentarkultur.pdf (26.08.2010).

Spannagel, Christian (2009): Gemeinsamer Gedankenaustausch - E-Learning 2009 Nachlese (20.09.2009). URL: http://cspannagel.wordpress.com/2009/09/20/gemeinsamer-gedankenaustausch-e-learning-2009-nachlese/ (26.08.2010).

Webevangelisten (2010): Twitter Nutzerzahlen übersteigen 200.000 in Deutschland, Österreich und der Schweiz (1.3.2010). URL: http://webevangelisten.de/twitter-nutzerzahlen-ubersteigen-200-000-deutschland/ (26.08.2010).

Wedekind, Joachim (2009): Twitter Gewitter (18.09.2009). URL: http://konzeptblog.joachim-wedekind.de/?p=381 (28.08.2010).


Bergmann et al. (2010). Wie virtuell darf`s denn sein: Zielloses Twitter-Gewitter oder hilfreiches Denkwerkzeug?. w.e.b.Square, 04/2010. URL: http://websquare.imb-uni-augsb....

DruckversionDruckversion


Bewerten
0
Noch keine Bewertungen
Your rating: Keine

Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.
CAPTCHA
Diese Frage dient dazu festzustellen, ob Sie ein Mensch sind und um automatisierte SPAM-Beiträge zu verhindern.
Image CAPTCHA
Enter the characters shown in the image without spaces, also respect upper and lower case.