Schnurr, J. (2010). Mehr Transparenz in der Wissenschaft bitte! Warum Hochschulen Kurznachrichtendienste, Blogs und Websites nutzen sollten, um Studierenden den Wissenschaftsbetrieb verständlich zu machen. w.e.b.Square, 04/2010. URL: http://www.websquare.imb-uni-augsburg.de/2010-04/2.
Es gibt ProfessorInnen, deren Namen hört man einmal zu Beginn des Studiums, man sieht sie aber danach bis zum Abschluss so gut wie nie. Vorlesungen halten externe DozentInnen, Prüfungen nehmen AssistentInnen ab. Hausarbeiten verschwinden in Schränken des Sekretariats und resultieren einige Wochen später in einer unpersönliche Note im elektronischen Notenverwaltungssystem der Hochschule. Ab und an erscheint eine Notiz auf der Website des Fachbereichs, in dem man studiert: Eine neue Publikation wurde veröffentlicht. 450 Seiten? Zu umfangreich, um sie neben dem Studium zu lesen, außerdem ist das Buch noch nicht in der Bibliothek verfügbar. Oder die eigenen Dozenten halten einen Vortrag in einer anderen Stadt. Leider zu weit entfernt und das Thema ist nicht prüfungsrelevant. Oder sie nehmen eine Gastprofessur im Ausland an. Dann sieht man sie erst recht nicht persönlich. Als Studierende(r) weiß man in der Folge nicht, wie die unbekannte Art "Wissenschaftler" überhaupt arbeitet.
Ein Thema, das uns bei w.e.b.Square schon immer beschäftigt hat: die Frage, wie wir Studierenden fachliche Orientierung geben können. Vor allem zu Beginn des Studiums wird man im eigenen Fachgebiet von der Menge der verfügbaren Informationen förmlich erschlagen. Studierende konzentrieren sich deshalb meistens zunächst auf das für ihre Lehrveranstaltungen relevante Fachwissen. Indem sie den Aufwand für ihr Studium auf das unmittelbar Notwendige minimieren, erleichtern sie sich ihre Prüfungsvorbereitungen. Sie verlieren dadurch aber leider häufig aus dem Blick, wie die Wissenschaft dieses Fachwissen hervorgebracht hat, das sie für Klausuren lernen. Sie kennen den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs darüber nicht. Sie wissen nicht, wie Wissenschaftler arbeiten. Sie wissen nicht einmal, wie Wissenschaftler an ihrer eigenen Hochschule und in ihrem eigenen Studienfach arbeiten.
Die Hochschule verpasst somit schon unmittelbar nach Studienbeginn die Chance, potenzielle Nachwuchswissenschaftler frühzeitig am wissenschaftlichen Diskurs zu beteiligen. Gerade weil die Hochschule derzeit häufig als ein Ausbildungsbetrieb für die freie Wirtschaft verstanden wird, muss sie sich stärker als bisher darum bemühen, junge Menschen für Wissenschaft zu interessieren - sofern sie zwischen Prüfungen und Praktika überhaupt noch erreichbar sind.
Das Stichwort hierfür ist LPP - Legitimate Periphal Participation (Lave & Wenger 1991; Alvarez 2006, S. 101; Barrett 2006, S. 69; Wenninger 2007, S. 156). Vereinfacht zusammengefasst ist LPP der Vorgang, in dem ein neues Mitglied einer Gruppe beitritt und sich erst durch Beobachten, anschließend durch Beteiligung am Diskurs innerhalb der Gruppe an diese gewöhnt. Dabei bewegt sich das neue Mitglied nach und nach vom Rand einer lose gekoppelten Peripherie hinein in den einflussreichen Kern der aktivsten beziehungsweise erfahrensten Mitglieder der Gruppe. LPP erlaubt es dem neuen Mitglied, zunächst simple Zusammenhänge kennenzulernen. Anschließend kann es die Aufgaben angehen, die komplexeren Konzepte zu verstehen, mit denen sich die Gruppe beschäftigt. Studierende langsam an den Wissenschaftsbetrieb heranzuführen, sie eine Zeit lang zusehen zu lassen und ihnen dabei gestaffelt einfache bis komplexe Informationen anzubieten, genau das sollte die Hochschule leisten. Genau das leistet sie aber nicht.
An den meisten Instituten, Lehrstühlen und Professuren ist wenig transparent, wie die dort berufenen Wissenschaftler arbeiten. Ergebnisse und Erkenntnisse kann man am Ende eines langjährigen Forschungsprozesses in Publikationen nachlesen. Wie dieser Prozess aber abläuft, dazu wird kaum etwas veröffentlicht. Es heißt, es sei von Professoren nicht zu erwarten, dass sie zusätzlich zu ihrem bisherigen Arbeitspensum auch noch Nachwuchsarbeit betrieben. Mit Forschungsprojekten, der Akquirierung von Mitteln und nicht zuletzt der Lehre seien sie bereits ausgelastet. Das ist sicher richtig. Man kann den zusätzlichen Aufwand für Nachwuchsarbeit von den Professoren nicht erwarten. Kann man dennoch Studierende neben dem, was in den Seminaren und in speziellen Förderprogrammen passiert, schrittweise an den Wissenschaftsbetrieb und an den aktuellen Diskurs in der Forschung heranführen?
Elektronische Werkzeuge wie Kurznachrichtendienste, Blogs und Websites machen diese Informationen öffentlich - parallel zu laufenden Forschungsarbeiten und ohne die Zeit der Wissenschaftker stark zu beanspruchen. Wissenschaftler publizieren schon jetzt (Buchem 2010) vielfach nicht mehr nur in klassischen Publikationsformen (Monographie, Sammelbände, Tagungsbeiträge etc.), sie nutzen bereits Kommunikationswerkzeuge wie Meldungen auf der Hochschulwebsite, Einträge in persönlichen Blogs und Kurznachrichtendienste, um Kollegen und Interessierte über ihre Arbeit zu informieren.
Wissenschaftler, die dies schon tun, staffeln ihre Veröffentlichungen nach Informationsdichte und Geschwindigkeit. So können sich Studierende (a) schon vor dem Studienbeginn, (b) kontinuierlich während des Studienverlaufs (und darüber hinaus) sowie (c) ohne von Informationsbergen erschlagen zu werden ein Bild davon machen, welche Entwicklungen in Forschung und Lehre in ihrem Fachbereich gerade stattfinden und wie der Wissenschaftsbetrieb aufgebaut ist. Neben Studierenden an der eigenen Hochschule können sich zudem weitere Interessierte sukzessive in die Materie einlesen, wenn sie diese Informationen benötigen. Durch kurze Einträge in Blogs und Kurznachrichtendiensten informieren Wissenschaftler über die eigene Forschungsaktivität. Sie machen den wissenschaftlichen Diskurs transparent. Sie laden ein, am wissenschaftlichen Diskurs teilzunehmen.
Die Informationsgüter, die Personen aus dem Wissenschaftsbetrieb über ihre Arbeit veröffentlichen, lassen sich nach der Geschwindigkeit der Informationsverbreitung und dem Umfang der enthaltenen Informationen passenden Veröffentlichungsformen zuordnen:
Informationsgut |
Geschwindigkeit |
Informationsumfang |
Veröffentlichungsformen |
Hinweise, Ideen | tagesaktuell | niedrig |
Kurznachrichtendienste |
Reflexionen |
wöchentlich bis monatlich |
mittel | Blogs |
Forschungsergebnisse | monatlich bis jährlich | hoch | Hochschulwebsites, Pressemitteilungen, Bücher, Zeitschriftenbeiträge, Konferenzbeiträge, Lehrveranstaltungen |
In Monaten oder mehreren Jahren erarbeitete Forschungsergebnisse mit entsprechend hoher Informationsdichte verbreiten sich im Rahmen dieser Systematik weiterhin in den etablierten Kanälen von Hochschulwebsites, Pressemitteilungen, Publikationen, Konferenzen oder Lehrveranstaltungen. Den Prozess der Forschung begleiten Wissenschaftler wöchentlich bis monatlich in Reflexionen über aktuelle Entwicklungen in Blogs. Derzeit scheinen wissenschaftliche Blogs nur in geringem Maße zur Diskussion zwischen Wissenschaftlern anzuregen. Ihr Hauptzweck liegt derzeit noch in der Selbstdarstellung und in der Selbstreflexion (Schulmeister 2010). Das an sich ist eine sinnvolle Tätigkeit. Der Nutzen für die Leser dieser Blogs besteht darin, dass sie sich über Forschung informieren können. Kurznachrichtendienste wie Twitter oder Google Buzz eignen sich des Weiteren dazu, leicht verdauliche Informationen zu verbreiten. Die Anzahl der Zeichen, die sich über sie verbreiten lässt, ist zwar beschränkt, häufig werden die Beiträge in ihnen jedoch mit Links zu ausführlicheren Artikeln angereichert.
Ich plädiere dafür, den Wissenschaftsbetrieb mit diesen niederschwelligen Maßnahmen öffentlicher zu machen. Kurznachrichtendienste, Blogs und Websites erreichen Studierende, weil sie leicht Zugang zu den Informationen finden. Diese Dienste entsprechen ihren Nutzungsgewohnheiten und setzen sich in der Breite der Gesellschaft zunehmend durch. Die Transparenz durch diese Maßnahmen nützt den Studierenden, weil sie einen Einblick darin erhalten, wie Wissenschaftler in ihrem Fachbereich arbeiten. Die Transparenz wiederum fördert die Wissenschaft als Ganzes, weil aktive Nachwuchsarbeit essentiell ist. Die Hochschulen können es sich nicht leisten, diesen Bereich zu vernachlässigen.