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Wissensmanagement und E-Learning unter Bildungsperspektive
Ausgabe 2009 01

Von der Open-Bewegung zur freien Bildungsressource

Open Educational Resources (OER) im Blitzlicht


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Welcher Student hat nicht schon einmal diese Erfahrung gemacht: Nico ist auf der Suche nach Materialien für seine Seminararbeit im Internet. Doch die Suche endet an einem Verlagsportal. Dort wird für den Download eines Volltextes ein Einzelpreis von 25 Euro fällig. Außerdem soll Nico bei diesem Verfahren mit Kreditkarte bezahlen und weiß dann leider auch erst hinterher, ob der Aufsatz den verlangten Preis wert war. Bleibt Nico also nur noch der Gang zur „guten alten" Bibliothek? Im ersten Moment ist der Student so verärgert, dass er seinem Frust Luft machen muss. Wissen ist ein öffentliches Gut und das World Wide Web sollte doch jedem die Möglichkeit geben, Wissen zu teilen und nutzen. Bei einem Chat stößt er auf Gleichgesinnte. Es wird unter anderem wild über den Begriff „Open Educational Resources" (OER) diskutiert. Davon hat Nico bis jetzt noch nichts gehört. Doch er wird neugierig. Der Grundgedanke der OER-Bewegung ist, dass der Zugang zu Wissen für alle in gleicher Weise ermöglicht werden soll (OECD, 2007). Soviel hat er nach kurzer Zeit verstanden. Doch was versteht man denn genau unter OER? Kann sich Nico den gewünschten Text jetzt also doch kostenlos herunterladen? Und wo soll er überhaupt nach den gewünschten Materialien suchen? 

Im Folgenden macht sich Nico auf die Suche, was hinter dem Begriff steckt, wie sich das Ganze entwickelt hat, welche Hoffnungen mit OER verbunden werden, welche Projekte man als Musterbeispiele heranziehen kann und welche Herausforderungen überwunden werden müssen.

1. Definition von OER

Obwohl sich Nico eine Weile an der Diskussion beteiligt hat, versteht er immer noch nicht richtig, was nun alles unter dem Begriff verstanden werden kann. Das ist auch kein Wunder, denn über die Definition von OER wird viel diskutiert, ohne bisher wirklich auf einen gemeinsamen Nenner gekommen zu sein. So können eine große Bandbreite an Gegenständen und Online-Materialien unter dem gemeinsamen Dach der OER zusammengefasst werden. Ziel ist - so viel steht fest - dass OER einen breiten und vor allem sozial gleichberechtigten Zugang zu Bildung sichern sollen (UNESCO, 2002a).

1.1 Die Grundidee von OER

Allgemein versteht man unter OER digitalisiertes Lehr- beziehungsweise Lernmaterial, das im Internet für alle Interessierten frei zur Verfügung gestellt wird. Man kann es zur Recherche, Weiterbildung und der Lehre einsetzen. Materialen beziehungsweise Techniken, die den Zugang zu Wissensinhalten unterstützen, zählen mit dazu (UNESCO, 2002b; Hylén, 2006).

Nachdem Nico die Grundidee verstanden hat, weiß er auch, dass OER für Menschen jeden Alters und aller Interessensgebiete denkbar sind (OECD, 2007). Open Education gibt sich jedoch nicht mit der Bereitstellung von Wissen zufrieden. Lernende und Lehrende können bestehende Ressourcen nutzen, sind aber gleichzeitig dazu aufgefordert neue Ressourcen zu generieren und diese wieder frei zu verbreiten. OER leben also von der Einbindung der Nutzer, die die Anwendungen ausgehend von ihren Ideen und Wünschen partizipativ weiterentwickeln (Sporer & Jenert, 2008).

1.2 „Open Content" und „Open Access"

Der Begriff „Open Content" spielt im Zusammenhang mit der OER-Bewegung eine wichtige Rolle. Materialen und Ressourcen für die Aus- und Weiterbildung, die offen zugänglich sind und von den Nutzern angewendet und genutzt werden können fallen darunter (Wiley, 2006). Die „Open Access"-Bewegung treibt die freie Verfügbarkeit wissenschaftlicher Informationen im Netz voran (e-teaching.org 2008). Open Access steht für einen unbeschränkten und kostenlosen Zugang zu wissenschaftlichen Informationen (SFEM, 2007).

1.3 Der Begriff „open"

Doch was versteht man jetzt genau unter „open"? Nico ist ratlos. Bei den meisten Menschen ruft der Begriff positive Assoziationen hervor (OECD, 2007). Aber heißt „open" denn nun auch wirklich, dass das Ganze nichts kostet und der Zugang zu den Materialien nicht beschränkt wird?

Nico beschließt den Begriff genauer unter die Lupe zu nehmen: Er findet heraus, dass die zwei wichtigsten Aspekte des „open"-Begriffes zum einen die freie Verfügbarkeit der Inhalte im Internet betreffen und zum anderen, dass es so wenig Beschränkungen wie möglich gibt, seien es technische, gesetzliche oder finanzielle (OECD, 2007).  Offen bedeutet also, dass das Konzept im Normalfall keine Kosten für den Nutzer der Materialien mit sich bringt - was jedoch nicht heißt, dass nicht auch Materialen unter OER fallen, für die doch ein Entgelt fällig wird (Koohang & Harman, 2007). Walker (2005, nach Downes, 2007, S. 31) definiert „open" als „convenient, effective, affordable, and sustainable and available to every learner worldwide" (ebd.). Das heißt also, OER müssen praktisch, effizient, erschwinglich, nachhaltig und verfügbar sein, um einer freien Bildungsressource gerecht zu werden.

Technische Einschränkungen, zum Beispiel fehlende Kompatibilität, können diese „openness" einschränken. Die Informationsquelle sollte also in einem Format veröffentlicht werden, das jeder öffnen kann, ohne sich vorher eine teure Software zulegen zu müssen. Damit alle in der Lage sind Veränderungen an der Quelle vornehmen zu können, sollte diese in einem Format zugänglich gemacht werden, welches Umgestaltungen zulässt (Downes, 2007; Hylén, 2006). Das Etikett „open" bezieht sich nicht nur auf frei zugängliche Wissensinhalte, sondern beschreibt eine umfassende Idee, die Entwicklungs-, Produktions- und Distributionsleistungen freier Ressourcen einschließt (Koohang & Harman, 2007; Hylén, 2006). Die Zugänglichkeit beziehungsweise Erreichbarkeit von OER hängt auch von individuellen Fähigkeiten ab. Es mag ja sein, dass es für Nico gute Quellen zu seiner Seminararbeit gibt, die ihm im Internet frei zur Verfügung stehen. Was aber wenn diese Informationen zum Beispiel nur auf Japanisch zugänglich sind? Dann nützen sie ihm reichlich wenig. Obwohl der Begriff "open" aussagt, dass für den Nutzer keine Kosten mit der Ressource verbunden sind, heißt das noch lange nicht, dass „open" auch „ohne Auflagen" bedeutet (Downes, 2007).

1.4 Was bedeutet „educational"?

Als Nächstes nimmt sich Nico den Begriff „educational" vor. Bedeutet „educational", dass wirklich nur Materialien unter OER fallen, die auch tatsächlich in formalen Bildungseinrichtungen genutzt werden? Somit wären ja Materialen, die für informelle Lernzwecke eingesetzt werden - zum Beispiel Zeitungsartikel - ausgeschlossen?! Nein, OER können auch für informelle Lernzwecke außerhalb von Bildungseinrichtungen eingesetzt werden. Es wäre also sinnvoll den Begriff „educational" durch „learning" zu ersetzen, was jedoch zu Verwirrungen führen könnte. Die OER-Bewegung steckt noch in den Kinderschuhen und somit wäre es unklug, plötzlich die Begriffsbestimmung zu ändern (OECD, 2007).

1.5 Was sind „resources"?

Unter „resources" fallen alle Materialen, die dazu beitragen, den Lernprozess zu organisieren und zu unterstützen. Das können ganze Kurse, einzelne Kursmodule, Sammlungen und Zeitschriften, aber auch Tools wie zum Beispiel „Content und Learning Management Systeme" oder „Content Development Tools" sein (UNESCO, 2002b). Hylén (2006, S. 2) fasst unter OER frei zugängliche Kursunterlagen und -inhalte sowie Software, die die Entwicklung, die Nutzung und Wiederverwertung und die technische Verbreitung von Lernmaterialien ermöglicht (siehe auch Downes, 2007).

Nico ist bei seiner Suche nach Materialen zu der Seminararbeit auf eine Seite gestoßen, die dem Nutzer Simulationen und Vorführungen zu Experimenten zum Download bereitstellt. Die Seite kommt von einer Universität, die den Studierenden die Möglichkeit bietet, ganze Vorlesungen, die auf Video aufgenommen wurden, herunterzuladen. Kann man solche Angebote auch zu OER zählen? Ja, denn auch Simulationen, Video- beziehungsweise Audioaufzeichnungen, Vorlesungsmaterialen, Experimente, Vorführungen, Lehrpläne und Handbücher können zu OER gehören, sofern sie die oben genannten Kriterien erfüllen (Koohang & Harman, 2007).

2. Die Entwicklung der OER-Bewegung

Nico hat bei seiner Recherche herausgefunden, dass es den Begriff OER nicht allzu lange gibt. Doch worauf fußt die ganze Idee? Verbirgt sich etwas komplett Neues dahinter?

2.1 Die Anfänge liegen in der „Open Source"-Bewegung

Die OER-Bewegung wurde von Anfang an von den Erfolgen der „Open Software"-Projekte inspiriert und beflügelt und hat sich durch die rasante Verbreitung des Web 2.0 in den letzten Jahren unaufhaltsam weiterentwickelt. Open Software ermöglicht den Nutzern, ihre passive Rolle als Konsumenten zu verlassen und selbst an der Gestaltung von Open Content mitzuwirken. Wiley (1998) prägte den Ausdruck des Open Content und verbreitete so die Idee, dass sich die Prinzipien der „offenen Software" auch auf den Inhalt übertragen lassen (OECD, 2007; Sporer & Jenert, 2008).

2.2 Die „OpenCourseWare"-Initiative als Ausgangspunkt

Als das Massachusetts Institute of Technology (MIT) 2001 die „OpenCourseWare"-Initiative gründete und bekannt gab, dass es innerhalb der nächsten zehn Jahre seine digitalen Vorlesungsmaterialien kostenlos und frei verfügbar für alle Internetnutzer bereitstellt, folgte daraufhin eine weltweite Welle von OER-Initiativen (ocw.mit.edu, 2008). Das MIT wurde zum Vorreiter der OER-Bewegung. Der Begriff OER wurde erstmals 2002 auf einem Forum der UNESCO diskutiert. Bei diesem Forum ging es darum, den Zugang zu Bildung für Entwicklungsländer zu verbessern (e-teaching.org, 2008).

2.3 OER in der Literatur

Im Jahr 2002 gaben Johnstone und Poulin (OECD, 2007) am Beispiel des MIT einen ersten Überblick darüber, was OER sind. Materu (2004) zieht den Schluss, dass frei zugängliche Kursinhalte von Institutionen als eine vielversprechende Möglichkeit für Entwicklungsländer angesehen werden. 2004 brachte das MIT zum ersten Mal eine jährlich erscheinende Evaluation seiner Website heraus. Dies ist die einzige Studie, die regelmäßig Aufschluss über die Nutzer von OER gibt.

2.4 Das OpenCourseWare Consortium

2005 wurde das OpenCourseWare Consortium gegründet, an dem sich mittlerweile 120 führende Universitäten beteiligen. Ziel dieses Consortium ist, den Einsatz und die Wiederverwendung von freien Bildungsressourcen weltweit zu fördern und die Nachhaltigkeit dieser Projekte sicherzustellen (OpenCourseWare Consortium, 2008)
Die UNESCO startete 2006 ein Wiki , in dem nützliche und beispielhafte OER-Materialien vorgestellt werden und der interessierte Leser sich Informationen über OER beschaffen kann (OECD, 2007).

3. Untersuchungen zu OER und bekannte Projekte

Nico hat heute zum ersten Mal von OER gehört. Nun fragt er sich, wie viele Internetnutzer tatsächlich aktiv beteiligt sind, wie viele Kursangebote zur Verfügung stehen, was das Ganze kostet und welche Initiativen besonders bekannt und verbreitet sind.

3.1 Das Problem fehlender Statistiken

Obwohl es keine eindeutigen Statistiken gibt, ist vor allem in den USA eine rasche Ausbreitung der Anzahl von OER-Projekten zu beobachten. Im Januar 2007 ermittelte die OECD, dass es zwischenzeitlich über 3000 öffentlich zugängliche Kurse gibt, die von über 300 Universitäten auf der ganzen Welt angeboten werden. Der Großteil der Produzenten dieser Ressourcen kommt aus einem englischsprachigen Land. Somit ist es auch kein Wunder, dass die meisten Materialien auf Englisch sind. Auch die Anzahl freier Bildungsressourcen, die nicht in Form von universitären Lehrgängen angeboten werden, steigt rapide. Momentan erscheint es noch unmöglich eine genaue Anzahl der laufenden OER-Initiativen zu bestimmen. Außerdem weiß man wenig über die Produzenten und Nutzer (OECD, 2007; Wiley, 2006).

Institutionen die sich in großem Umfang an der OER-Bewegung beteiligen, scheinen (so weit man das bis jetzt sagen kann) relativ bekannt und angesehen zu sein. Man geht davon aus, dass die meisten Nutzer gebildet sind und über einen Hochschulabschluss verfügen (OECD, 2007, Hylén, 2006). Die Inhalte der OER-Initiativen decken meistens ein großes Spektrum ab. Das heißt, es werden Kurse und Materialien zu Themen aus den Naturwissenschaften, den Geisteswissenschaften und den Sozialwissenschaften zur Verfügung gestellt. Seltener ist eine Spezialisierung auf bestimmte Fachrichtungen zu beobachten. Auch die Darbietungsformen sind sehr unterschiedlich. Es überwiegen komplette Kurse mit zusätzlichen Kursmaterialien. Diese Formen finden sich auch im Angebot der Fernuniversitäten. Eine Grenzziehung ist hier oft schwer vorzunehmen (Lutz & Johanning, 2007). Die Kosten für die einzelnen Projekte schwanken beachtlich. Einige Initiativen erhalten finanzielle Unterstützung von Unternehmen, andere tragen sich durch eine Community und durch freiwillige Mitarbeiter (Wiley, 2006).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die meisten Statistiken eher beschönigend wirken: Universitäten mit großem Budget können sich OER leisten, während „Otto-Normal-Universitäten" von der Bewegung bis jetzt eher ausgeschlossen sind. Außerdem lässt sich ein starkes Gefälle zwischen den USA und Europa beobachten, was die Entwicklung und Verbreitung von OER angeht.

3.2 Herausragende und bekannte Projekte

Das bekannteste Beispiel für die Sammlung und Bereitstellung von digitalen Lehr- beziehungsweise Lernmaterialien auf Hochschulebene ist die OpenCourseWare-Initiative des MIT (William and Flora Hewlett Foundation, 2008). Eine weitere Datenbank in großem Stil ist „LearnSpace", die Datenbank der Open University in Großbritannien. In Europa gibt es aktuell die Initiative „Multilingual Open Resource for Independent Learning" (MORIL). Sie soll als europaweiter Knotenpunkt für verschiedene OER-Projekte dienen (Dorp & Ubachs, 2007). Die William and Flora Hewlett Foundation beteiligt sich an über 40 OER-Initiativen und unterstützt verschiedene Typen von „Open Educational Content". Sie wirkte bei der Entwicklung von zwei Suchportalen mit, die die Suche nach OER unterstützen und vereinfachen sollen. Es besteht eine Zusammenarbeit mit der UNESCO, um so OER weiter zu verbreiten.

Um einen kleinen Einblick in die Dimensionen der OER-Bewegung zu bekommen, schaut sich Nico das Projekt der MIT OpenCourseware-Initiative genauer an: Das MIT beschäftigt 29 Angestellte (OECD, 2007). Dazu gehören acht Führungskräfte, fünf PR-Manager, vier Produktionsmitglieder, zwei Mitarbeiter, die sich um die Recherche kümmern und zehn Verbindungsmitglieder, die rechtliche Angelegenheiten und ähnliches regeln. Der jährliche Etat beträgt circa vier Millionen US-Dollar. Den Löwenanteil machen die Gehälter (circa zwei Millionen US-Dollar) und Technologie (circa eine Million US-Dollar) aus. Im Durchschnitt werden 540 Kurse pro Jahr bereitgestellt. Eigenen Schätzungen zufolge, registrierte das MIT 8,5 Millionen Besuche im Zeitraum von Oktober 2004 bis September 2005 (OECD, 2007). Jetzt wird Nico auch klar, warum es an seiner Universität keine OER gibt. Das Ganze ist schlichtweg zu teuer und sehr aufwendig zu organisieren. Abgesehen von den Sponsoren, leben solche Projekte von „Volunteering", wie es Wiley (2006) formuliert.

Ein gutes Beispiel für eine OER-Initiative, die sich unabhängig von einer Bildungseinrichtung entwickelt hat, ist Wikipedia. Hierbei gibt es keine organisationale Anbindung, die hinter dem Projekt steht. Im Mai 2006 waren über eine Million englischsprachige und circa 700.000 deutschsprachige Artikel online zugänglich (Wikipedia, 2008). Wie man bei allen Projekten sehen kann, braucht jede OER-Bewegung eine Community. Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass sich gerade einmal zehn Prozent aktiv beteiligen. Viele Projekte starten Bottom-Up, also zum Beispiel im Rahmen einer Fakultät und nicht auf Grund einer Vorgabe von Seiten der Hochschulleitung (e-teaching.org, 2008).

3.3 Wie sieht es in Deutschland aus?

Die OER-Bewegung ist in Deutschland noch relativ schwach ausgeprägt. Das mag daran liegen, dass viele Wissenschaftler das Modell ablehnen, weil sie ihre Reputation angeblich nur durch Veröffentlichungen in kostenpflichtigen Journalen erzielen können. Außerdem handelt es sich hier um ein Generationenproblem. Jüngere Wissenschaftler sind wesentlich offener gegenüber OER. Nennenswerte Projekte, die brauchbare Resultate erbracht haben, gibt es in Deutschland noch nicht. Die meisten OER-Datenbanken in den USA werden mit Hilfe von Stiftungen realisiert. In Deutschland gibt es noch keine solche Tradition, aber die ersten Universitäten haben bereits begonnen, sich in Stiftungs-Unis umzuwandeln. In einigen Jahren wird sich die Einstellung hierzulande sicher ändern (Lutterbeck & Gehring 2007). Obwohl Deutschland in der Entwicklung noch nicht auf dem gleichen Stand ist wie die USA, gibt es einige Initiativen, die den Zielen der OER-Bewegung entsprechen, auch wenn sie sich nicht explizit darauf beziehen. Webangebote wie die „Virtuelle Hochschule Bayern" oder „EducaNext" erschließen auch Personenkreise außerhalb der Hochschule (Lutz & Johanning, 2007).

4. Die Virtuelle Hochschule Bayern (vhb) - das deutsche MIT?

Nachdem Nico herausgefunden hat, dass es auch einige deutsche OER-Angebote gibt, ist er nun neugierig geworden und möchte mehr wissen. Da er in Bayern studiert und schon irgendwann einmal etwas von der „Virtuellen Hochschule Bayern" (vhb)  gehört hat, beschließt er nun, genauere Nachforschungen anzustellen. Er gibt das Kürzel „vhb" in eine Suchmaschine ein und gelangt gleich über den ersten Treffer auf die passende Homepage. Dort liest er, dass die vhb keine eigenständige Hochschule ist, sondern eine „Verbundeinrichtung der bayerischen Hochschulen". Also eine gemeinsame Einrichtung der neun staatlichen Universitäten, 17 staatlichen Fachhochschulen, sowie einiger weiterer Hochschulen (vhb, 2008a).     


Trägerhochschulen der vhb

Abb.1: Trägerhochschulen der vhb (Quelle: vhb, 2008b)

Nico weiß jetzt auch, dass seine Universität ebenfalls eine Trägerhochschule der vhb ist. Aber kann er jetzt einfach so an Kursen teilnehmen? Im Prinzip ja: Alle Studierenden, die an einer Trägerhochschule der vhb studieren, können das Kursangebot kostenlos nutzen, sie müssen sich nur registrieren. Unabhängig von seinem Studiengang kann Nico grundsätzlich alle Kurse belegen. Allerdings gibt es bei einigen Kursen auch Teilnahmevoraussetzungen. So wird zum Beispiel bei „Webdesign für Fortgeschrittene" erwartet, dass man bereits Grundkenntnisse in HTML besitzt. All das wird aber im Kursprogramm genauestens beschrieben (vhb, 2008b).

Nico interessiert jetzt, was genau für Kurse angeboten werden und er wirft einen Blick in das Kursprogramm des aktuellen Wintersemesters 2008/2009. Insgesamt zählt Nico 169 Kurse aus den Fächergruppen: Informatik, Ingenieurswissenschaften, Lehramt, Medizin, Rechtswissenschaften, soziale Arbeit, Sprachen, Wirtschaftswissenschaften sowie Schlüsselqualifikationen (vhb, 2008c).

Doch was macht jemand, der nicht wie Nico in Bayern studiert? Kann man auch woanders studieren oder vielleicht sogar gar nicht studieren und trotzdem Kurse an der vhb belegen? Ja, die Lehrveranstaltungen an der vhb können sowohl von Studierenden außerhalb Bayerns als auch von Berufstätigen, die sich zum Beispiel weiterbilden möchten, besucht werden (vhb, 2008d). Allerdings müssen sie, anders als Nico, 35 Euro pro Semesterwochenstunde bezahlen (vhb, 2008e). Bei „Webdesign für Anfänger" wären das also insgesamt 70 Euro. Auch für Bildungsinstitutionen und Unternehmen besteht die Möglichkeit, Kurse an der vhb zu nutzen. Dazu werden zwischen diesen Institutionen beziehungsweise Unternehmen und der vhb Lizenzvereinbarungen getroffen (vhb, 2008f).

5. Den Herausforderungen ins Auge blicken

„Ist ja alles schön und gut", denkt sich Nico und fragt sich gleichzeitig, warum es dann bisher nur so wenige OER-Projekte und -initiativen gibt? Das liegt daran, dass sich OER-Projekte, wenn sie denn erfolgreich - im Sinne von nachhaltig - sein wollen, einigen Herausforderungen stellen müssen.

5.1 Finanzierungsfragen

Vorneweg spielt das Budget beziehungsweise die Finanzierung eine wichtige Rolle. Wie können OER-Projekte getragen werden, wenn zum Beispiel eine Anschubfinanzierung wegfällt? Wie bereits erwähnt, bieten OER als eine Art Aushängeschild ein großes Potenzial für das Hochschul- und Wissenschaftsmarketing. Gerade im Wettbewerb um Fördergelder sind innovative Ideen und kreative Konzepte gefragt, die sich klar von anderen abheben. Nur so kann ein OER-Projekt auf Dauer überleben.

Nico hat bei seiner Erkundungstour unterschiedliche Beispiele für OER entdeckt. OER-Projekte können also ganz unterschiedliche Ziele verfolgen. Deshalb ist es wichtig, vorab zu definieren, was konkret mit dem Projekt erreicht werden soll. Einhergehend damit sollte auch die Zielgruppe definiert werden. Richtet sich das Angebot nur an Lernende oder aber auch an Lehrende? Welche Charakteristika und Interessen hat die Zielgruppe? Wie soll sich die Zielgruppe an dem Angebot beteiligen können? Ist zum Beispiel nur die Nutzung der OER erlaubt oder dürfen diese weiter- und wiederverwendet, eventuell sogar angepasst oder gemeinsam bearbeitet werden?

5.2. Ungehinderter gegenseitiger Austausch oder Reglementierung?

Hier schließt sich die Problematik der Nutzungsrechte an, welche eigentlich grundlegend für den Erfolg von OER-Projekten sind. Allerdings stößt der gegenseitige Austausch häufig an Grenzen. So hat zum Beispiel das MIT zu Beginn seines OCW-Projekts den Großteil seiner Gelder für den Freikauf von Lizenzrechten verwendet. Allerdings kann sich dies nicht jede Universität/Institution leisten.  Letztendlich kann ein OER-Projekt auch nur erfolgreich sein, wenn es bis zu einem gewissen Grad anpassbar (sprachlich, kulturell, geschlechterspezifisch) ist und eine einfache Handhabung besitzt. Die Navigation und die Benutzerführung sollten zudem selbsterklärend sein (Zauchner & Baumgartner, 2007).

Wie die Qualitätssicherung in der Praxis abläuft, konnte Nico schon am Beispiel der vhb sehen. Diese sichert ihre Qualität auf mehreren Wegen, zum Beispiel indem sie studentische Evaluationen und externe Gutachterexpertisen durchführt. (vhb, 2008g) Letztendlich muss aber auch hier wieder jede Initiative die für sie geeignetste Art der Evaluation und Qualitätssicherung - sei es durch interne Qualitätsregulierungsprozesse, eine Peer-Review oder die Nutzerbewertung - herausfinden. Auch eine Mischung von verschiedenen Evaluationsmethoden, ähnlich wie bei der vhb, ist möglich (vgl. ebd.). Nico kann dieser Aufzählung aus eigner Erfahrung noch einen weiteren Punkt hinzufügen: Die vielleicht banalste aber grundlegendste Voraussetzung damit OER langfristig funktionieren können, ist die Bereitschaft, Wissen zu teilen.

6. Die Frage nach dem WARUM

Nico hat nun schon einiges über OER gelesen und gelernt: Er hat sich mit der Begriffsdefinition auseinandergesetzt, nachvollzogen wie die OER-Bewegung entstanden ist, ein paar Daten und Fakten recherchiert, um sich eine Vorstellung von ihrem Ausmaß und ihrer Verbreitung zu machen. Schließlich ist er auf ein praktisches Beispiel, die vhb, gestoßen und hat etwas über die Herausforderungen und Schwierigkeiten von OER erfahren. Jetzt stellt sich für Nico aber immer noch die Frage nach dem WARUM. Warum investieren Institutionen so viel Geld und Zeit in OER? Was versprechen Sie sich davon?

„What you give, you receive back improved"

Hylén (2006) argumentiert, dass durch OER eine weitere und schnellere Verbreitung von Wissen ermöglicht wird, weshalb mehr Menschen in die Prozesse des Problemlösens eingebunden sind. Dies wiederum führt zu einer Qualitätsverbesserung. Getreu dem Motto „what you give, you receive back improved", wird durch das Teilen und die Weiterverwendung von Bildungsressourcen die Qualität dieser Ressourcen erhöht. Oft wird deshalb auch aus einer hochschul- oder individualökonomischen Perspektive heraus angeführt, dass OER eine Zeitersparnis mit sich bringen können, weil durch eine weitere und schnellere Verbreitung von Wissen zum Beispiel Doppelentwicklungen vermieden werden (e-teaching.org, 2008). Für einige sind OER auch eine Art Aushängeschild, das der Öffentlichkeitsarbeit dient. Für die Hochschulen besteht zum einen die Möglichkeit, sich für neue Studierende attraktiv zu machen, weil diese einen Einblick bekommen, was dort gelehrt wird. Im Kontext des lebenslangen Lernens besteht für die Hochschulen zudem die Möglichkeit über die freie Bereitstellung von Lernmaterialien Studierende auch noch als Alumni an sich zu binden. Aus der Perspektive des Lehrenden beziehungsweise des Publizierenden besteht durch OER die Möglichkeit, ein größeres Maß an Öffentlichkeit, Bekanntheit und Austausch unter Gleichgesinnten zu erreichen. (vgl. ebd.) Zauchner und Baumgartner (2007, S. 5) gehen noch weiter: „Während manche Hochschulen noch nach dem ´Warum?´ fragen, wird andernorts davon ausgegangen, dass OER Angebote in Zukunft für den Außenauftritt einer Institution/Hochschule ebenso außer Diskussion stehen werden, wie die Frage danach, ob eine Website erstellt werden soll oder nicht." Noch ist OER ein relativ junges Phänomen, das vor allem von großen und finanzstarken Universitäten getragen und angeboten wird. Ob es sich bei OER um ein alltagstaugliches, praktikables und vor allem finanzierbares Modell auch für kleinere Hochschulen handelt, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.


Literatur
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  • Downes, S. (2007): Models for Sustainable Open Educational Resources. Interdisciplinary Journal of Knowledge & Learning, 3, 29-44. URL: http://ijklo.org/Volume3/IJKLOv3p029-044Downes.pdf  (18.12.2008).
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  • Hylén, J. (2006): Open Educational Resources: Opportunities and Challenges. Centre for Educational Research and Innovation. URL: http://www.oecd.org/dataoecd/5... (18.12.2008).
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  • Virtuelle Hochschule Bayern (vhb) (2008e): Informationen für Studierende. Kann ich auch an vhb-Kursen teilnehmen, wenn ich nicht als Student an einer bayerischen Hochschule eingeschrieben bin? URL: http://www.vhb.org/studierende... (18.12.2008).
  • Virtuelle Hochschule Bayern (vhb) (2008f): Informationen für Studierende. Bildungsinstitutionen und Unternehmen. URL: http://www.vhb.org/studierende... (18.12.2008).
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  • Zauchner, S. & Baumgartner, P. (2007): Herausforderung OER - Open Educational Resources. In Merkt, M.; Mayrberger, K.; Schulmeister R.; Sommer, A.; van den Berk, I. (Hrsg.): Studieren neu erfinden - Hochschule neu denken. (S. 244-252). Band 44. Münster: Waxmann. URL: www.peter.baumgartner.name/art... (18.12.2008).

Angster, S. & Uphoff, S. (2009). Von der Open-Bewegung zur freien Bildungsressource: OER im Blitzlicht. w.e.b.Square. 01/2009. URL: http://websquare.imb-uni-augsburg.de/2009-01/2

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