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Editorial
Angesichts des rasanten Aufstiegs der Digitalen Netzwerke an die Spitze der meistgenutzten Webdienste lohnt zuallererst der Blick darauf zu richten, über was genau wir sprechen, wenn wir Soziale Netzwerke meinen. Im Umfeld von Facebook und and Co. meinen wir Digitale Soziale Netzwerke, welche nach Boyd und Ellison (2007) webbasierte Dienste sind, die es Individuen ermöglichen, (1) ein öffentliches oder halb-öffentliches Profil innerhalb eines geschlossenen Systems anzulegen, (2) eine Liste mit Profilen anderer Nutzer, mit denen sie in einer Relation stehen, zu erstellen und (3) die Kontaktlisten von sich und den anderen Nutzern innerhalb des Systems zu beobachten und zu durchsuchen.
Die ersten sozialen Netzwerke als Webangebote entstanden Mitte der 1990er Jahre. Hier könnte man classmates.com als ersten Vorläufer nennen, wobei in diesem Fall viele Funktionalitäten, wie wir sie bei heutigen Plattformen kennen, noch nicht realisiert waren. Man konnte primär nach alten Schulfreunden suchen und somit zu ihnen den Kontakt herstellen. Das erste soziale Netzwerk, das der genannten Definition entspricht, ist sixdegrees.com. Der Webdienst erreichte jedoch nicht die erwartete Anzahl von Mitgliedern und wurde bereits im Jahr 2000 wieder eingestellt. Diese Online-Umgebung war mit seinem Angebot anscheinend seiner Zeit zu weit voraus (Boyd und Ellison 2007). Die koreanische Virtuelle Welt Cyworld startete 1999 und integrierte bereits 2001 unabhängig von den amerikanischen Entwicklungen die Funktionalitäten eines sozialen Netzwerkes in ihr System und gingen 2006 in den US-Markt (Kim & Yun 2007), 2007 kamen sie nach Deutschland aus dem sie sich aber bereits 2008 wieder zurückzogen. 2009 folgte das Ende dieses Dienstes auch in den USA.
2002 wurde Friendster gegründet, was aber bald von MySpace, das etwa zur selben Zeit startete, an Attraktivität überholt wurde. 2003 war das Jahr in dem LinkedIn und das von Lars Hinrichs gegründete OpenBC, das später in Xing umbenannt wurde, ihren Dienst anboten. 2005 wurde Facebook gegründet, das bis heute andauernd die größten Wachstumsraten bei den Mitgliederzahlen aufweist. Facebook ist mittlerweile auf Platz vier der meistbesuchten Websites (Quelle: Comscore, Statista 2010). In Deutschland stiegen die Mitgliederzahlen von Facebook alleine von Juli bis Oktober um 50 % an. Mittlerweile hat Facebook weltweit ca. 350 Mio. User und ist mit annähernd 6 Millionen Nutzern in Deutschland auf Platz drei der hierzulande am häufigsten genutzten webbasierten Sozialen Netzwerke (Quellen: BITCOM, Statista, Comscore 2010).
Grundsätzlich lassen sich nach Schmidt (2006) Social Media drei Hauptfunktionen zuschreiben. (1) Informationsmanagement, das man primär Anwendungen wie Wikis zuschreiben würde, (2) Identitätsmanagement das sich hauptsächlich durch Weblogs realisieren lässt, und (3) das Beziehungsmanagement, das hauptsächlich durch Sozialen Netzwerkdienste unterstützt wird. Wobei umfangreiche, komplexe Digitale Netzwerkplattformen meist alle drei Managementfunktionen berücksichtigen.
Es stellt sich nach den Unterstützungsfunktionen nun die Frage nach den Erfolgsfaktoren für Digitale Soziale Netzwerkdienste. Ein Punkt ist sicherlich, dass ein immer größerer Teil der Web-Nutzer „Digital Natives" (Prensky 2001) sind, die an eine ständige Vernetzung und Immersion in Social Media gewöhnt sind und in dieser Hinsicht einen Bedarf zeigen. Es gibt bereits einige Studien zur Nutzung Sozialer Netzwerke (Clark, Boyer & Lee 2007; Nyland & Near 2007; Lampe, Ellison & Steinfield 2008) deren Ergebnisse zeigen, dass in Sozialen Netzwerken hauptsächlich soziale Interaktionen gesucht werden. Die fünf Hauptgründe zur Nutzung sind nach Nyland und Near (2007) (1) neue Leute kennenzulernen, (2) Unterhaltung, (3) Beziehungen/Kontakte/Freundschaften aufrechtzuerhalten, (4) Informationen zu Events und (5) Dokument-Sharing. Clark, Boyer und Lee (2007) haben 2,338 College-Studenten nach ihren Gründen zur Nutzung von Facebook gefragt. Sie nannten als Hauptgründe Unterhaltung und Zeitvertreib. Ebenfalls College Studenten haben auch Raacke und Bonds-Raake (2008) zu ihrer Motivation, Myspace und Facebook zu nutzen, befragt. Sie taten dies hauptsächlich, weil sie darin einerseits eine gute Möglichkeit zur Organisation bzw. Pflege von Kontakten und andererseits zur Informationssuche sahen.
Eine spezielle Studie führte Kulikova (2008) durch, die untersuchte, warum Myspace-User die Profile politischer Kandidaten aufrufen. Die beiden Hauptgründe, die sie dabei herausfanden waren soziale Interaktionen mit anderen politischen Unterstützern und die gezielte Informationssuche zu ihrem politischen Interesse. Eine weitere Studie, die noch zu nennen wäre, ist die Untersuchung der Persönlichkeitsmerkmale von Social-Media-Nutzern. Demnach stehen Extrovertiertheit und Offenheit in Verbindung mit der Nutzung Sozialer Medien (Correa, Willard, Hinsley & de Zúñiga 2009). Die Wirkungen Sozialer Netzwerke gehen in Richtung des Erlebens sozialer Präsenz und einer veränderten Identitätsbildung. Im Zentrum anonymer Netzwerke steht dagegen die Darstellung eines neuen oder veränderten Selbstbildes, das Ausleben, oder aber auch Ausprobieren verschiedener Identitätsentwürfe in einem geschützten Raum (Misoch 2006). Zudem entsteht die Möglichkeit, sich über erfahrene Identitätsschwächen des Real Life hinwegzusetzen, Stärken hervorzuheben und gleichsam mit neuen Verhaltensweisen zu experimentieren. (Schelske 2007).
Weitere Theorien, die einen starken Bezug zu Digitalen Sozialen Netzwerken aufweisen sind: Das Small World Phenomenon von Milgram (1967), die Unterscheidung von Strong und Weak Ties (Granovetter 1973) und Virtuelle Gemeinschaften (Rheingold 1993). Lave & Wenger (1991) untersuchten Communities of Practice (Wenger 1998, 2002), die auch mit einer IT-Unterstützung in Verbindung standen. Die Prinzipien des Networking untersuchten Teten und Allen (2005). Ein neuerer Ansatz, der Konnektivismus (Siemens 2005; Downes 2005), liefert Modelle wie die digitale Vernetzung das bilden von Lerngemeinschaften unterstützen kann.
Das Erreichen bestimmter Ziele ist abhängig von Geld, Bildung und dem Besitz sozialer Beziehungen. Das zeigt die Bedeutung auf, wonach die Aktivitäten in Digitalen Sozialen Netzwerken mit der Erhöhung des „Sozialkapitals" zusammenhängt, was sich auf die Ideen von (Bourdieu 1983) zurückführen lässt. Weitere Untersuchungsphänomene sind soziale Interaktionen in den neuen Formen computerbasierter Kommunikation. Desweiteren interessieren uns Fragen der Ethik, der Identität, des Vertrauens und der Schutz der Privatsphäre. Zukünftige Trends bei Digitalen Sozialen Netzwerken liegen im Bereich der Integration (OpenSocial, OAuth, OpenID), der mobilen Nutzung und in der Integration von 3D Welten in die Digitalen Sozialen Netzwerke.
-- Es gilt das gesprochene Wort. --
Literatur
- Bourdieu, P. (1983). Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: R. Kreckel (Hg.), Soziale Ungleichheiten (Soziale Welt Sonderband 2), Göttingen, S. 183-198.
- Boyd, D. M. & Ellison, N. B. (2007). Social network sites: Definition, history, and scholarship. Journal of Computer Mediated Communication-Electronic Edition,13 (1), article 11. http://jcmc.indiana.edu/vol13/issue1/boyd.ellison.html.
- Naeemah, C., Boyer, L. & Lee, S. (2007). A Place of Their Own: An Exploratory Study of College Students' Uses of Facebook. Paper presented at the annual meeting of the International Communication Association, TBA, San Francisco, CA Online <PDF>. 2010-01-24 from http://www.allacademic.com/met...
- Correa, T., Hinsley, A. W. & Gil de Zúñiga, H. (2010). Who interacts on the Web?: The intersection of users' personality and social media use. Computers in Human Behavior, 26 (2), 247-253.
- Downes, S. (2005). E-learning 2.0. eLearn Magazine, 10.
- Granovetter, M. S. (1973). The strength of weak ties. American journal of sociology, 78(6),1360-1380.
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- Kulikova, S. V. (2008). New Media in New Democracies: Perceptions of Good Governance Among Traditional and Internet-Based Media Users in Kyrgyzstan, The Manship School of Mass Communication: Unpublished dissertation. http://etd.lsu.edu/docs/availa...
- Lampe, C., Ellison, N. B. & Steinfield, C. (2008). Changes in use and perception of Facebook. Proceedings of the ACM 2008 conference on Computer supported cooperative work, 721-730.
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- Milgram, S. (1967). The small world problem. Psychology today, 2(1), 60-67.
- Misoch, S. (2006). Online-Kommunikation. UTB, Stuttgart.
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- Prensky, M. (2001). Digital natives, digital immigrants, On the horizon, (9(5), 1-6.
- Raacke, J. & Bonds-Raacke, J. (2008). MySpace and Facebook: Applying the uses and gratifications theory to exploring friend-networking sites, CyberPsychology & Behavior, 11(2), 169-174.
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- A. Schelske (2006). Soziologie vernetzter Medien. Grundlagen computervermittelter Vergesellschaftung. Oldenbourg, München.
- Schmidt, J. (2006). Social Software: Onlinegestütztes Informations-, Identitäts-und Beziehungsmanagement, Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, 19(2), 37-47.
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Bredl, K. (2010). Bekannt, befreundet, vernetzt! Editorial. w.e.b.Square. 1/2010. URL: http://websquare.imb-uni-augsburg.de/2010-01/1
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