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Wissensmanagement und E-Learning unter Bildungsperspektive
Ausgabe 2010 04

„Ach, sowas wie Wikipedia!“

Ein Zwischenbericht zum Einsatz neuer Medien im Schulunterricht


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„Null Blog" - so der Titel eines SPIEGEL-Artikels in der Ausgabe 31/2010. Er berichtete darüber, was eigentlich schon länger mehr oder weniger bekannt ist: Es gibt sie nicht wirklich, die Generation @, Net Generation oder die Digital Natives. Jugendliche bevorzugten reale soziale Kontakte und Sport und nähmen die vielgerühmten Vorteile des Web 2.0 - Partizipation und Interaktion - eher selten in Anspruch. Der Artikel stützt sich auf eine Untersuchung des Hans-Bredow-Instituts und der Uni Salzburg, wonach die Nutzung der Angebote im Netz zwar hoch ist, die Medienkompetenz allerdings sehr schwach ausgeprägt ist (Schmidt, Paus-Hasebrink & Hasebrink 2009). Richtig sinnvoll scheinen auch die jungen Leute also nicht mit dem Internet umgehen zu können. Also alles ein Mythos? War bloggen, twittern und Co. ein Trend, der genauso schnell vorübergeht wie er gekommen ist?

„Für Bildung und Erziehung wird angenommen, dass Medien anregende und unterstützende Funktionen übernehmen können" (Tulodziecki & Herzig 2004, S. 7). Was bedeutet es aber nun, wenn die Schüler gar nicht angeregt werden wollen? Wenn ihre Kompetenzen bezüglich sinnvoller Mediennutzung überschätzt werden? Geht der Mehrwert für den Unterricht verloren, nur weil es keine „Cyberkids" sind, die es zu unterrichten gilt?
Diese Fragen versuche ich in Teilen in meiner Abschlussarbeit zu beantworten. Im Rahmen der Bachelorarbeit untersuche ich den Einsatz neuer Medien an Schulen am Beispiel von Wikis. Den empirischen Teil der Untersuchung stellt ein Unterrichtsversuch mit einem Grundkurs Deutsch eines bayerischen Gymnasiums dar. Die Schüler sollten - in Kombination mit offenen Unterrichtsformen - eigenständig zu einem Thema recherchieren und anschließend gemeinsam einen Wiki-Artikel verfassen. Der Unterricht war für mich im Hinblick auf die intrinsische Motivation der Schüler ernüchternd, die anschließende Gruppendiskussion besonders im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Selbstorganisation und Schulrealität höchst interessant.

Um die 22 Schüler, die an der Untersuchung im Seminarkurs-Verbund teilnahmen, besser einschätzen zu können, wurden im Vorfeld Medienausstattung und Internetnutzungsgewohnheiten durch einen kurzen schriftlichen Fragebogen erhoben. Im Durchschnitt nutzen die Jugendlichen seit 6,8 Jahren das Internet, wobei die niedrigste Angabe bei 4,5 Jahren liegt. Man kann also durchaus davon ausgehen, dass sie über einige Erfahrung im Cyberspace verfügen. Die Klasse entspricht somit in etwa dem deutschen Durchschnitt (vgl. JIM Studie 20091), liegt in einigen Bereichen sogar klar darüber. 14 Schüler gehen durchschnittlich täglich über 2-3 Stunden ins Internet, alle bis auf einen sogar mit ihrem eigenen PC. Hauptnutzungsmotive sind Emails schreiben, Informationen suchen oder für die Schule recherchieren und Instant Messaging-Systeme. Diese Internetdienste verwenden alle befragten Schüler. 21 von 22 Jugendlichen schauen sich Musik und Videos im Internet an, 18 sind in Social Networks aktiv und 17 haben schon Gästebucheinträge auf Websites verfasst. Diese Ergebnisse erlauben den Schluss, dass eine Vertrautheit mit dem Computer und dem Internet sowie eine gewisse (technische) Medienkompetenz gegeben sind.
Geht es jedoch um Web 2.0 Aktivitäten, sieht es auch in dieser zwölften Klasse eher bescheiden aus: Immerhin noch acht Schüler spielen Online-Spiele, sechs haben schon einmal eine Rezension (z.B. bei amazon oder ebay) verfasst, aber je nur ein Schüler besitzt einen Blog oder eine Homepage, einer twittert (ein zweiter gibt an: „besitze lediglich Account") und einen Wiki-Artikel hat noch keiner verfasst. Als in der ersten Unterrichtsstunde der Begriff „Wiki" definiert wurde, wusste niemand, was eigentlich ein Wiki ist („Ach, das ist sowas wie Wikipedia! Da kann man mitschreiben!"). Auch Twitter war nicht allen bekannt. Legen Jugendliche also doch nicht so großen Wert auf Interaktion, Partizipation, Kooperation und Kommunikation via Internet? Und ergibt sich als Rückschluss für die Unterrichtsgestaltung, dass es sich gar nicht „lohnt", digitale Medien einzubeziehen?

Die Gruppendiskussion2, die im Anschluss an die drei (Doppel-) Unterrichtsstunden mit einer Auswahl an Schülern durchgeführt wurde, zeichnet ein anderes Bild. Das Feedback auf den prinzipiellen Einsatz des Wikis und die Verwendung offener Unterrichtsformen ist durchweg positiv. Dennoch zeigen die Aussagen, dass es sich hierbei keineswegs um unreflektierte Zustimmung handelt. So haben sich die Schüler zu Hause mit dem Wiki beschäftigt, andere Artikel gelesen und liefern Verbesserungsvorschläge bezüglich inhaltlicher und technischer Komponenten. Auch zur Unterrichtsgestaltung wird konstruktive Kritik geäußert, die Schüler analysieren treffgenau den Aufbau der Stunden und erklären, wo sie Änderungen für sinnvoll erachten. Obwohl anfangs keiner der Jugendlichen wusste, was eigentlich ein Wiki ist und auch noch nie an einem mitgearbeitet hatte, traten keinerlei technische Probleme auf. Der Mehrwert eigener Recherchetätigkeiten wird erkannt, so sagt ein Schüler: „Also merken tut man sich‘s, wenn man‘s selber erarbeitet leichter und man versteht‘s auch besser." Ein anderer ergänzt: „Die Zeit geht schneller rum". Doch diese Aussagen stehen im Gegensatz zur Unterrichtbeobachtung. Nur eine geringe Zahl der Schüler brachte sich aktiv ein und die Qualität der Wikiartikel lässt bei einem Großteil auf einen eher minimalistischen Arbeitsaufwand schließen. Auch bestanden deutliche Schwierigkeiten, den Mitschülern Feedback, sowohl schriftlich als auch mündlich, zu geben. Dennoch vertreten die Schüler in der Diskussion die Meinung, dass Feedback wichtig und gut sei, denn „dann wüsste ich auch nicht, ob ich da gute Arbeit geleistet hab oder eher schlechte und ob es überhaupt einen Sinn gemacht hat, mich da so lange hinzusetzen". Diese Diskrepanz zwischen den Aussagen und dem tatsächlichen Handeln der Jugendlichen veranschaulicht eine Erkenntnis, die in der ganzen Erhebung deutlich wird: Die Schüler haben längst begriffen, worum es beim Wiki- und damit beim Medieneinsatz geht, zumindest theoretisch. Sie haben nur Probleme in der Umsetzung. Eine Schülerin bringt es auf den Punkt: „Ich glaube, das muss in der Schule einfach mehr geübt werden." Der Lehrer, der im ergänzenden Experteninterview befragt wurde, konstatiert: „Bei den Kollegen fehlt die Information und die Bereitschaft, nicht bei den Schülern."

Ausgehend von der Unterrichtsbeobachtung und den Einzel- und Gruppeninterviews liegt folgender Schluss nahe: Die Jugendlichen nehmen die Verwendung neuer Medien im Unterricht deswegen nicht ernst, weil es ihre Lehrer (auch) nicht tun. Diesen Eindruck bekommt man auch am Gymnasium, an dem ich meine Untersuchung durchführte. Die Schüler besitzen Zugang zum Learning Management System „Moodle", das zur virtuellen Unterstützung des Unterrichts bereitsteht. Allerdings sind dort nur zwei Fächer vertreten, Deutsch und Informatik. „Aber das auch nur theoretisch. Wir haben am Anfang des Jahres einen Account gemacht und das war es", stellt ein Schüler fest. Zudem handelt es sich um zwei verschiedene Plattformen, obwohl es logischer erscheint, die Fächer in einem Account zu bündeln. Daneben weist die Usability deutliche Mängel auf. „Es müsste halt vernünftiger aufgebaut werden".
Schüler könnten durchaus vom Web 2.0 mit seiner partizipativen Kultur profitieren. Sie sind dem auch nicht abgeneigt. In der Diskussion liefern sie eigenständig Vorschläge, in welchem Fach man ein Wiki wie am sinnvollsten einsetzen könnte und debattieren sowohl über die technischen Anforderungen einer Online-Plattform zur Verwaltung einzelner Fächer als auch über Vor- und Nachteile für den Multimedia-Einsatz in verschiedenen Fächern. Sie sehen den Computer nicht als Allheilmittel, sondern würden ihn verwenden, „wenn‘s fachbezogen ist und halbwegs zur Verdeutlichung hilft". Hauptargumente sind Aktualität (beispielsweise in Geografie, Sozialkunde), Multimedialität (Kombination von Bild und Ton in den Sprachen) und Präzision (etwa im Mathematikunterricht). Schüler wissen um die Vorteile der neuen Medien. Und die Lehrer?

Eine Frage lautete: „Wie schätzt ihr die Medienkompetenz eurer Lehrer ein?" Die Antworten waren: „Stark schwankend" und „lehrerabhängig". Eine Schülerin stellte nüchtern fest: „Also es gibt welche die haben überhaupt keine Ahnung, also es ist ja Wahnsinn." Der Lehrer hingegen bescheinigt seinen Schülern eine hohe technische Medienkompetenz, sie hätten „weniger Probleme als der durchschnittliche Lehrer." Viele Lehrer scheuen sich seiner Meinung nach, digitale Medien einzusetzen, weil sie ihren Schülern allem voran technisch in der Verwendung unterlegen seien. Den Jugendlichen fällt es wiederum schwer, den Einsatz als ernstzunehmenden Unterricht einzustufen, wenn sie Zweifel an der Expertise des Lehrenden haben. Ein Schüler sagt: „Das Schlimmste ist es einfach, wenn die Leute was von einem verlangen, was sie selbst nicht beherrschen."
Partizipation im Web 2.0, bloggen und twittern, das alles wird - zumindest in Bezug auf einen didaktisch sinnvollen und wünschenswerten Einsatz - tatsächlich schnell vorübergehen, wenn es weiterhin so umgesetzt wird, wie es im Moment der Fall ist. Es ist nicht so, dass die Jugendlichen keine Lust hätten oder keinen Sinn darin sähen - es mangelt aber oft am deutlich sichtbaren Mehrwert (z.B. in Form von Zensuren) und am didaktischen Konzept, das hinter dem Einsatz steht. Meine Erfahrung ist, dass Schüler in erster Linie in Zensuren denken. Wenn also keine Note für Recherchen im Internet vergeben wird, kann - diesem Denkmuster folgend - der „Wert" der Arbeit ja nicht so groß sein. Wenn nur ein, zwei Lehrer einmal im Halbjahr ein Projekt mit Computern machen, dann kann das ja kein ernsthafter Unterricht sein. Wenn der Lehrer schon große Augen bekommt, wenn in einer Power-Point-Präsentation eine animierte Schrift einfliegt, was will er Schülern, die diese Werkzeuge nahezu perfekt beherrschen, dann noch über Computer beibringen? Die digitalen Medien sind Teil des täglichen Lebens der heutigen Schüler. Sie sollten auch Teil des Schulalltags werden.


1 Auf eine konkrete Gegenüberstellung wird in diesem Artikel verzichtet.

2 Vollständige Ergebnisse finden sich in der Bachelorarbeit zum Thema „Einsatz von Wikis im Schulunterricht am Beispiel des Projekts ‚brauchwiki'"(Arbeitstitel), die Ende des Sommersemesters 2010 zur Korrektur vorgelegt wird und bei Bedarf bei der Autorin angefragt werden kann. 


Literatur
  • Dworschak, M. (2010). Null Blog. Der SPIEGEL 31/2010, S. 120 - 123.
  • Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2009). JIM-Studie 2009. URL: http://www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf09/JIM-Studie2009.pdf
  • Schmidt, J., Paus-Hasebrink, I. & Hasebrink U. (2009). Heranwachsen mit dem Social Web. Zur Rolle von Web 2.0 -Angeboten im Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen Kurzfassung des Endberichts für die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM). URL: http://www.lfm-nrw.de/downloads/zusammenfassung_socialweb.pdf
  • Tulodziecki, G. & Herzig B. (2004). Handbuch Medienpädagogik Band 2 Mediendidaktik. Stuttgart: Klett-Cotta.

Grießhammer, L. (2010). „Ach, sowas wie Wikipedia!" Ein Zwischenbericht zum Einsatz neuer Medien im Schulunterricht. w.e.b.Square, 04/2010. URL: http://websquare.imb-uni-augsburg.de/2010-04/3.

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