Röhrich, J. & Schemmerling, J. (2008). Blended Learning an Universität und Schule. w.e.b.Square. 01/2008. URL: http://websquare.imb-uni-augsburg.de/2008-01/13
Die Erfahrung. Eine Blended Learning Veranstaltung an der Universität. Es klingt kompliziert und komisch: Mit dem Computer lernen, nur eine einzige „normale" Veranstaltung mit einem Professor vorne am Pult, das ganze Semester in einer Kleingruppe zusammenarbeiten. Immerhin eine Gruppe, dann ist man nicht nur auf sich selbst und den Computer gestellt... Solche Gedanken standen uns, den Teilnehmern des Seminars „Medienpädagogik in Wissenschaft und Praxis" im Sommersemester 2006, bei der Präsenzveranstaltung ins Gesicht geschrieben. Nach anfänglicher Verwirrung fanden sich alle Einzelteilnehmer zu Arbeitskleingruppen zusammen und wir wurden zu den „Chicks on Speed". Nach der Übungsaufgabe stand die erste Aufgabe zum Download bereit - die Arbeit begann. Ein Blick in die Abschlussstatements, welche wir im Rahmen der letzten Aufgabe verfassten: „Als ich mich zur Vorlesung „Medienpädagogik in Wissenschaft und Praxis" eintrug, dachte ich, dass ich an einer netten, kreativen Veranstaltung teilnehmen würde. Die Tatsache, dass uns Mediatoren zur Seite gestellt wurden, fand ich zu Beginn des Semesters lächerlich. Auch das Raunen der höheren Semester, wenn sie den Titel des Seminars erfuhren, war mich unerklärlich. Schlagwörter wie „stressig", „arbeitsintensiv" oder „katastrophal" empfand ich als maßlos übertrieben."
Was dann unser Sommersemester 2006 bestimmte, war das intensivste Lernerlebnis, welches die „Chicks on Speed" im Laufe ihres Studiums erlebten. Wir lernten zusammenzuarbeiten, Inhalte zu verstehen, aufzuteilen und zu bearbeiten, Konflikte zu lösen, Zeit einzuteilen und mit Stress sowie dem Computer umzugehen. Wir mussten als Gruppe zu einem Ergebnis kommen, welches alle Gruppenmitglieder zufrieden stellte. Es galt, Fristen einzuhalten und über unsere Schatten zu springen, Kompromisse einzugehen und an der Sache zu bleiben, in unseren Abschlussstatements konnten wir rückblickend nachlesen: „Jetzt, nachdem wir alle Gruppenaufgaben gelöst haben, muss ich eingestehen, dass sich all diese ersten Impressionen bewahrheitet haben. Der Arbeitsaufwand ist immens, die Aufgabenstellungen ließen jedes mal große Fragezeichen in unseren Gesichtern auftauchen, Gruppenarbeit kann zur Zerreißprobe werden, gerade wenn die Charaktere gänzlich verschiedene Auffassungen von einer „gelungenen Aufgabe" besitzen bzw. die Arbeitsmoral einfach differiert." Doch waren wir uns unseres Lernerfolges durchaus bewusst: „Ich habe die Erfahrung gemacht, wie wichtig offene und klare Absprachen sind, um Missverständnissen vorzubeugen und schlechte Stimmungen gleich von Beginn an zu vermeiden. Ebenfalls sehr wichtig ist eine eigene klare Position. Erst dann ist man in der Lage zu kommunizieren oder zu diskutieren. Sich in andere Gruppenmitglieder hineinzuversetzen, hat oftmals meine Sicht geschärft oder meine Reaktionen abgemildert und so meine Toleranz erhöht." Jede Aufgabenlösung machte uns stolz und der Anspruch, den wir an uns und unsere Lösungen stellten, wuchs von Aufgabe zu Aufgabe. Wir arbeiteten mehr als nötig, nicht weil wir mussten, sondern weil wir wollten. Nach fünf bestandenen Aufgaben lautete unser Fazit: „Ich bin mir sicher, dass wir aus jeder Aufgabe das Beste gemacht haben, unser Bestes gegeben und auch das Beste erreicht haben. Unser Lernerfolg - inhaltlich aber auch das Soziale betreffend - war maximal. Ob ich „Medienpädagogik in Wissenschaft und Praxis" wieder besuchen würde? Nein, ich glaube nicht."
Die Idee. Während dieser Zeit entstand die Idee, ein solches Seminarkonzept probeweise auf einen Schulkontext zu übertragen. Blended Learning als Bestandteil des Schulunterrichts? Warum denn eigentlich nicht? Wie wir Studenten sollen doch gerade Schüler Inhalte für eine nachhaltigere Verarbeitungstiefe vernetzt sowie anwendungsorientiert durchdenken und lernen. Der Umgang mit Medien und die Arbeit im Team sind gleichermaßen für Studenten und Schüler zentrale Bestandteile eines künftigen Berufslebens und Voraussetzungen für das damit verbundene lebenslange Lernen. Die Erfahrung in und mit einem sozialen Umfeld zu lernen, empfanden wir als eine große persönliche Bereicherung und eine tiefgehende Lernerfahrung. Alles, was wir bei diesem Seminar an der Universität erlebt, erfahren und gelernt hatten schien uns nicht weniger wichtig für den Bereich der Schule. Frühere Lehrer hatten zudem immer geklagt, dass wir mental nicht bei der Sache wären, uns keine eigenen Gedanken machten, geschweige denn anstrengen wollten und freiwillig nur das Nötigste zum Unterricht beitrugen. Wir hingegen fanden es damals langweilig und demotivierend, nie etwas selber machen zu dürfen und immer nur dem Lehrer, unserem „Chef", zuhören zu müssen.
Um diese Ideen, dieses Konzept praktisch umzusetzen, so dachten wir uns, bräuchten wir eine Partnerschule mit einem Ansprechpartner, der bereit wäre, das Projekt in seiner Unterrichtszeit und seinem Fach mit unserer Unterstützung durchzuführen. Wir benötigten ein Unterrichtsthema zu dem problemorientierte Aufgaben entwickelt werden müssten, welche die Schüler in Kleingruppen in einem bestimmten Zeitrahmen zu bearbeiten hatten. Und eine Plattform wäre sehr nützlich, um den Organisationsablauf reibungslos zu gestalten. Das Ergebnis dieser Idee ist das Konzept und die Umsetzung des Blended Learning Projekts in Ottobrunn (München), welches in unseren Bachelorarbeiten ausführlich beschrieben wurde. Bei der Konzeption des Projekts erhofften wir uns, dass die Schüler vielleicht ähnlich spannende Lernerfahrungen, wie wir sie bei dem Seminar erfahren durften, machen würden.
Das Projekt. Grundlegend wurde die Unterrichtseinheit „Andorra"1 als eine projekt- und problemorientierte Lektürebesprechung in Form einer Blended-Learning-Veranstaltung konzipiert. Blended-Learning ist eine Form des E-Learning welche E-Learning Elemente mit klassischen Face-to-Face-Lehr- und Lernsituationen vereint. Durch die Kombination von Präsenzveranstaltungen und Selbstlernphasen müssen die Schüler und Schülerinnen weder auf den Umgang mit Digitalen Medien noch auf den Aspekt der sozialen Interaktion im Unterricht verzichten. Generell sind die Gestaltungsmethoden (Lernmedien, Lernformen, Lernmethoden) bei Blended-Learning frei wählbar. Bei dieser Unterrichtseinheit entschieden wir uns für die Form des problemorientierten Lernens. Wir verstehen Lernen demnach als aktiven, konstruktiven, selbst gesteuerten, situations- und kontextgebundenen sowie sozialen Prozess. Das didaktische Design, in welchem die Aufgaben gestaltet wurden, soll den Schülern und Schülerinnen die Lust am Lernen im Allgemeinen und an dem Werk „Andorra" im Speziellen wecken - sie also motivieren. Darüber hinaus sollen sich die Lernenden von den einzelnen Aufgaben persönlich angesprochen fühlen und dadurch aktiviert und involviert werden. Die Aufgaben wurden so gestaltet, dass sie Anwendungsbezug, Abstraktion und Flexibilität des angeeigneten Wissens sowie die tiefere Verarbeitung der präsentierten Informationen fördern und fordern. Die erste Aufgabe ist eine reine Übungsaufgabe welche zur Gruppenfindung beziehungsweise Identitätsfindung der Gruppen diente. Die vier nachfolgenden bewerteten Aufgaben stellen verschiedene Ansprüche an die Klasse und legen den Schwerpunkt stets auf andere Teilaspekte des Werkes.
Abbildung 1: Unsere für die Schule gestaltete Blended Learning Umgebung
In der Übersichtsgrafik ist die Gesamtkonzeption der Lernumgebung zu sehen. Herzstück sind die problemorientierten Aufgaben. Die Handreichung ist für den organisatorischen Ablauf und die Bewertung der Schülerleistung wichtig. Ebenfalls ein Bestandteil sind die von uns betreuten Präsenzveranstaltungen. Unter den Aspekt „Technologie" fällt die Plattform Moodle2 der Digitalen Schule Bayerns, welche wir für dieses Projekt nutzten. Die Betreuung der Klasse während des Projekts erfolgte in diesem Pilotprojekt durch den Lehrer und uns als Tutoren sowie Mediatoren. Zudem fungierten wir als Ansprechpartner für technische, inhaltliche und gruppenspezifische Fragen. Die wissenschaftliche Betreuung war das didaktische Konzept und der wissenschaftliche Background auf dem die Konzipierung und Durchführung aufbaute. Die Evaluation erfolgte nach dem Projekt durch einen Fragebogen, qualitative Schülerinterviews sowie ein Experteninterview und qualitative Statements, die die Schüler im Rahmen der letzten Aufgabe abgaben.
Ausblick. Das Blended Learning Projekt in Ottobrunn wurde zunächst als Pilotkonzept konzipiert, doch sollte es keinesfalls bei einer einmaligen Durchführung bleiben. Nach unserem Ermessen ist es nun wichtig, dieses Konzept zu optimieren, in anderen Klassen beziehungsweise an anderen Schulen durchzuführen, zu evaluieren und bezüglich ausgesuchter Schwerpunkte zu untersuchen. Besonders interessant und aufschlussreich dürfte ein Vergleich mit weniger erfahrenen Schülern (bezüglich der Aspekte Projektarbeit und E-Learning) sein.
Obwohl es sich bei unserem Konzept um ein Pilotprojekt handelt, steht es nicht „einsam auf weiter Flur". Gemäß der Langzeitstudie KIM (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2006, S. 46) nutzt etwa jeder zweite Schüler das Internet mindestens einmal am Tag, um Informationen für die Schule zu erhalten. Digitale Medien und Schule verknüpfen sich in gewisser Weise also bereits ohne unser didaktisches Zutun. Gehen wir aber noch einen Schritt weiter, denn Notebook-Klassen, Schulplattformen und projektorientierter Unterricht sind keine Einzelfälle mehr. Noch bezeichneten diverse Vorreiter gerne als Leuchttürme. Letzten Endes wird es jedoch nicht dabei bleiben. Wir werden unser Pilotprojekt im Rahmen unserer Masterarbeiten verbessern, mehrfach durchführen und evaluieren. Wohin dies führen wird wissen wir noch nicht - Sie und wir dürfen also gespannt sein.