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Wissensmanagement und E-Learning unter Bildungsperspektive
Ausgabe 2010 05

Comics, Film und interkulturelle Interdependenzen

Editorial


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Comic-Verfilmungen haben Konjunktur. Seit Tim Burtons „Batman" verzeichnet vor allem das amerikanische Kino eine bis heute anhaltende Welle in diesem Bereich. Ein Anstoß dazu ist zunächst wohl in der Entwicklung der amerikanischen Comics in den 1980er Jahren zu sehen: Während die amerikanischen Zeitungscomics seit jeher schon ein erwachsenes Publikum anzusprechen versuchen, richten sich die Comichefte (comic books) bis zu diesem Jahrzehnt vorwiegend an Kinder und Jugendliche. Sie dienen zudem in erster Linie der Unterhaltung. In den 1980er Jahren gelangt jedoch eine Autorenbewegung zum Durchbruch, die in den 1970er Jahren unter dem Einfluss europäischer Comics und im Underground-Bereich allmählich zu entstehen beginnt, jedoch erst in den 1980er Jahren den Mainstream zu verändern beginnt. Comics, gerade auch die Superhelden, werden von diesen Autoren nun vermehrt dazu benutzt, über ihren Unterhaltungscharakter hinaus Positionen zu gesellschaftlich relevanten Themen zu entwickeln und in den gesellschaftlichen Diskurs einzugreifen, sowie damit nun auch ein älteres Publikum zu erreichen. Frank Miller spielt dabei eine zentrale Rolle, vor allem durch sein Batman-Projekt, das auch die Inspiration für Tim Burtons Verfilmung liefert. Seither reißt die Welle der Verfilmungen nicht mehr ab.

Hollywood sucht dabei immer schon ein internationales Publikum, um seine Produktionen ökonomisch möglichst profitmaximierend auswerten zu können. Entsprechend geht es dem amerikanischen Film-business immer schon um interkulturelle Verständlichkeit seiner Produkte. Erreichen lässt sich diese durch das, was die deutsche Kritische Theorie maliziös als „Standardisierung des Publikums" bezeichnet hat, nämlich eine stereotype Verbreitung bestimmter Auffassungsstandards bezüglich der Filmtexte, partiell durch Standardisierung dieser Texte selbst. Profitabilität lässt sich dann entweder „kulturimperialistisch" herstellen, indem die „typisch amerikanischen" Erzählmuster und ästhetischen Strukturen massiv angeboten werden - das war die These von Max Horkheimer und Theodor Adorno -, oder im Sinn des mathematischen „kleinsten gemeinsamen Vielfachen", indem interkulturelle Konvergenzen der entsprechenden Muster gesucht werden - so beurteilte Dieter Prokop in den Fußstapfen der beiden genannten Autoren filmsoziologisch die Lage. Auch ohne den teilweise konspirationistisch anmutenden Thesen der Kritischen Theorie bis ins Detail zu folgen, ist kaum zu leugnen, dass beide Strategien sich im amerikanischen Film-business durchaus entdecken lassen. Und dennoch: Die Globalisierung, die medienbezogen schon seit langem ein Faktum ist, bringt Formen des interkulturellen Austauschs hervor, die komplexer und nicht schon mit der Standardisierungsthese der Kritischen Theorie vollständig erfasst sind. So orientiert sich Hollywood auch an Europa und mindestens seit den 1980er Jahren an Asien, ohne dass dies lediglich auf ein rein ökonomisch motiviertes „kgV" der ästhetischen und narrativen Muster reduzierbar wäre; francobelgische Bande Dessinées orientieren sich seit den 1990ern vermehrt am amerikanischen Film und Fernsehprodukten (wie „24", auf die sich etwa Stephen Desbergs politisch ausgerichtete Actionthriller beziehen) oder amalgamieren sich stilistisch und erzähltechnisch mit den Manga (die sie eigentlich auch als missliebige Konkurrenz ausgrenzen hätten können); japanische Manga-Größen wie Jiro Taniguchi wiederum greifen ästhetische Muster und Erzählformen des francobelgischen Comic auf - und dergleichen mehr. Bei alldem geht es natürlich auch immer um die ökonomische Profitabilität der Medienprodukte. Aber es griffe zu kurz, darin den alleinigen Motor dieser wechselseitigen interkulturellen Amalgamierungen sehen zu wollen. Der globale Medienaustausch hat sich intensiviert und die interkulturelle Intertextualität wächst dabei. Das erfordert zunehmend flexible interkulturelle „Literaritäten" - Aneignungskompetenzen - beim Publikum und kann wechselseitiges kulturelles Interesse jenseits der Ökonomie fördern. Breitenwirksam findet sich diese interkulturelle Amalgamierung samt diesen möglichen Interessen in der medialen Populärkultur. Deshalb lohnt es sich, den populären Medienprodukten auch medienanalytisch Aufmerksamkeit zu widmen. Und ohne dabei unkritisch werden zu müssen, ergeben sich daraus in the long run auch umfassendere theoretische Einsichten in das, was mediale Interkulturalität in der Globalisierung bedeutet - Einsichten, die durch die Analysen ein empirisches Fundament besitzen.

Die hier präsentierten Arbeiten sind im Rahmen des Moduls „Medienethik und mediale Populärkultur" bzw. „Medienphilosophie und Medienethik" hervorgegangen. In den letzten Jahren habe ich in diesem Modul verstärkt - sozusagen als durchgehende Querschnittsperspektive - die interkulturelle Problematik eingebracht und dies mit Aufmerksamkeit für die intermedialen Dependenzen zu verbinden gesucht. Entsprechend bietet die Auswahl auch einen sowohl interkulturellen als intermedialen Zugriff. Im Fokus stehen angesichts der Aktualität der Comicverfilmungen die Arbeiten, die sich mit Comics und Film und ihren Bezügen befassen.

In die Geschichte der francobelgischen Comics, die mit über 50% nach wie vor den zentralen Sektor der europäischen Comicproduktion darstellen, führt Simone Wydra mit ihrer Hausarbeit ein. Sie gibt einen knappen und ebenso aktuellen wie anschaulichen Überblick über diese Historie. Eva Opitz stellt dem einen Durchstieg durch die Geschichte der japanischen Manga an die Seite. In der Tat erleben diese seit den 1980er Jahren ja international einen erstaunlichen Boom, wenn auch aufgrund von Marktübersättigung inzwischen mit Krisensymptomen zumindest in Deutschland. Schon hier wird zudem deutlich, dass der interkulturelle Einfluss in beide Richtungen geht.

Das deutsche Verhältnis zu Comics ist nach wie vor von einem bildungsbürgerlichen Hochkulturaffekt verzerrt. Dieser Affekt verdankt sich der erfolgreichen Agitation der Kunst- und Kulturreformbewegungen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, die nach 1945 einerseits von den Anfängen der Medienpädagogik in der „Filmerziehung" weitergetrieben wird, andererseits sich bereits in den entsprechenden kulturellen Leitmilieus längst zur Selbstverständlichkeit sedimentiert hat. Historisch äußert sich darin in erster Linie das Bemühen um soziale Distinktion des gebildeten Bürgertums gegenüber den so genannten „unteren Schichten", nachgebildet in jüngerer Zeit durch das Distinktionsinteresse des „Niveaumilieus" gegenüber dem „Harmonie-„ und dem „Unterhaltungsmilieu" (Gerhard Schulze). Wie die (gleichfalls distinktionsbegründet kulturell externalisierte) niedere Kunst, sind Comics in Deutschland so - mit Bourdieu gesprochen - dezidiert kein „kulturelles Kapital". Das hat zur Folge, dass sie auch heute noch als kulturelle no go area betrachtet werden - und lediglich dort etwas positive Würdigung nach sich ziehen können, wo sie als Trägermedium „ernsthafter" Themen erscheinen. Die so genannte Graphic Novel, die sich im Buchhandel präsentieren darf, lebt eben hiervon. Gleichwohl sind Comics nachhaltige Vermittler auch realweltlicher Diskurse. Paradestück hierfür ist zweifelsohne Art Spiegelmans „Maus", das international für Aufsehen gesorgt hat. Kathrin Schneider widmet sich in ihrer Arbeit deshalb diesem herausragenden Werk.

Comics sind nicht einfach im Realfilme umzusetzen. Gerade den Superhelden eignet eine Künstlichkeit, die sich sperrig zum Film verhält. Am überzeugendsten sind daher jene Verfilmungen, die für diese Künstlichkeit eine Entsprechung im spezifischen Zeichenmaterial des Films zu schaffen versuchen. Es ist wiederum Tim Burton, dem dies als einem der ersten besonders gelingt. Die exponentielle Entwicklung der digitalen Möglichkeiten der Filmbearbeitung ab den 1990er Jahren erweitert dann die Möglichkeiten, Künstlichkeit und den Anschein des Realismus miteinander zu verbinden. Es entsteht eine neue Form von Authentizität, in der gerade das Künstliche in seiner Geschlossenheit überzeugend wirkt. Die Verfilmung von Sin City treibt genau diese Methode konsequent voran und schafft eine Filmwelt, deren Differenz zum Realismus die besondere Expressivität ausmacht.

Mit ihrer Masterarbeit widmet sich Michaela Strasser dieser Verfilmung und bezieht dabei, vor allem für den Aufweis von Differenzen, auch die zu Grunde liegenden Comics mit ein. Sie interessiert sich in erster Linie für die Konstruktion des Bösen und religiöse Bezüge. Wie die Comics ist der Film freilich widerborstig. Frank Millers Welt stellt eine extreme Extrapolation des Film Noir und der hard boiled detective fiction dar, in der die Verhältnisse, in denen die Figuren agieren, von Grund auf korrumpiert sind. Das Böse ist daher geradezu das Medium, in dem alle handelnden Figuren sich vollziehen müssen. Das Gute hingegen erscheint vor diesem Hintergrund als die bloße Differenz, gewinnt seine Substanz nicht aus sich selbst, sondern aus jeder Wendung gegen die Allgemeinheit des Bösen. Es gibt für das Gute daher keinen wirklichen Ort, keine systematische Begründung und keinen Bestand ohne Opfer. Die Arbeit rekonstruiert dies, in dem sie nach einer knappen begriffsgeschichtlichen Bestimmung des Bösen und einiger zentraler Topoi seiner Darstellung im Film zunächst auf die Geschichte der hard boiled fiction und des Film Noir eingeht. Vor allem in Auseinandersetzung mit dem Film Noir erarbeitet sie grundlegende Muster des Inhalts, Typika der Helden und Schauplätze, spezifische Formen der Bildsprache, der Narration und Montage, der Inszenierung und der ästhetischen Codes. Notizen zu den beiden Autoren des Films und zu seiner Entstehungsgeschichte bilden die Überleitung zur Filmanalyse. Diese wird zunächst in Hinsicht auf die filmische Ästhetik und die Umsetzung der zu Grunde liegenden Comics angegangen, wobei auch die Bezüge zum Film Noir herausgearbeitet werden. Danach widmet sich die Analyse der vom Film aufgebauten Welt und der Verwendung religiöser Motive, wobei die einzelnen Geschichten jeweils für sich durchgegangen werden. Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den Geschichten werden zusammenfassend vor Augen gestellt. Im Anschluss daran geht die Arbeit nochmals eigens auf die Darstellung des Bösen ein, um dann mit einer zusammenfassenden Schlussbetrachtung zu schließen.

Schon in Sin City werden die interkulturellen medienästhetischen Beziehungen deutlich, insbesondere zu den japanischen Manga und dem japanischen Actionfilm Dies muss nicht verwundern: Frank Miller, der Autor und Zeichner der Sin-City-Comics orientiert sich produktiv an japanischen Manga (und übrigens auch an europäischen Comics, allen voran des Altmeisters Jean „Moebius" Giraud). Entsprechend schlagen sich diese Beziehungen auch in der Verfilmung um. Noch massiver freilich sind die - bewusst gesetzten - interkulturellen medialen Bezüge in Quentin Tarantinos „Kill Bill", der geradezu ein Palimpsest aus asiatischen und europäischen Filmzitaten darstellt. Diesen geht Hannelore Demmeler - aus arbeitsstrategischen Gründen beschränkt auf amerikanischen Western und Italowestern - nach.

Hausmanninger, T. (2010). Comics, Film und interkulturelle Interdependenzen. Editorial. w.e.b.Square, 05/2010. URL: http://websquare.imb-uni-augsburg.de/2010-05/1

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