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Wissensmanagement und E-Learning unter Bildungsperspektive
Ausgabe 2008 01

Denn sie tun nicht, was sie wollen

Die Akzeptanz-Herausforderung bei der Implementierung selbstorganisierten Lernens an der Hochschule


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Der Beitrag thematisiert das Problem der mangelnden Akzeptanz Studierender für offene Lernumgebungen. Am Beispiel des Augsburger Begleitstudiums „Problem-lösekompetenz" wird gezeigt, wie sich trotz der selbst gestellten Forderung nach praxisnahen Lernangeboten nur wenige Studierende in einem selbstorganisierten, problemorientierten Programm engagieren. Vorgestellt werden die wichtigsten Er-gebnisse einer explorativen Interviewstudie zu diesem Phänomen. Diese sind Aus-gangsbasis für eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Akzeptanzproblem. Es werden Erkenntnisse der pädagogisch-psychologischen Forschung zum Selbst-regulierten Lernen, insbesondere zum Einfluss epistemischer Überzeugungen zu Natur von Wissen und Lernen, thematisiert. Am Ende stehen Überlegungen, wel-che Implikationen sich für den Umgang mit dem Akzeptanzproblem ergeben.

1. Das Akzeptanzproblem innovativer Didaktik

Studierende reagieren nicht immer so auf didaktische Massnahmen, wie Lehrende - oder besser: Designer von Lernumgebungen - es sich erhoffen. Das gilt besonders für so genannte offene Lernumgebungen, die nach konstruktivistischen Prinzipien gestaltet sind. Obwohl häufig davon ausgegangen wird, dass Selbstbestimmung die Motivation beim Lernen steigert und bedeutungsvolles Lernen ermöglicht, sieht die Realität nicht selten anders aus: Selbst an der Hochschule, wo relativ erfahrene Lernende anzutreffen sind (Campbell, Robinson, Neelands, Hewston, & Mazzoli, 2007), hält sich die Akzeptanz innovativer didaktischer Designs oft in engen Grenzen (Lowyck, Elen & Clarebout, 2004). Dieser Beitrag thematisiert das Akzeptanzproblem bei der Implementation didaktischer Designs an der Hochschule, die Eigeninitiative und Selbstorganisation von Studierenden zum Ziel haben, aber auch voraussetzen. Ausgehend von einem Beispiel an der Universität Augsburg werden bestehende Akzeptanzhürden dargestellt, und die praktischen Erfahrungen anschliessend unter Berücksichtigung von Ergebnissen der pädagogisch-psychologischen Forschung analysiert. Es folgt der Schluss, dass innovatives didaktisches Design nicht nur die Gestaltung offener Lernumgebungen umfassen sollte, sondern auch die Grundlagen schaffen muss, damit Lernende von sich aus den (Mehr-)Wert unterschiedlicher didaktischer Arrangements für ihr eigenes Lernen erkennen.

2. Begleitstudium Problemlösekompetenz

Mit dem Begleitstudium Problemlösekompetenz wird seit dem Wintersemester 2004/05 im Studiengang „Medien und Kommunikation" der Universität Augsburg ein Studienprogramm angeboten, das speziell auf die überfachliche Kompetenzentwicklung Studierender zielt. Das Begleitstudium fördert den Kompetenzerwerb, indem Studierende praktische, soziale und wissenschaftliche Problemstellungen kollaborativ in selbstorganisierten Lerngemeinschaften lösen. Praktisches Problemlösen und Selbstorganisation des Lernens sind also zentrale Bestandteile dieses Studienprogramms. Ziel des Begleitstudiums ist es, „die Herausforderungen der Bildung in der Wissensgesellschaft im Sinne einer partizipativen Lernkultur zu gestalten" (Sporer, Reinmann, Jenert & Hofhues, 2007, 85f.). Im Gegensatz zu anderen konstruktivistisch inspirierten Lernarrangements bewegen sich die Studierenden hier nicht in vorgegebenen Kontexten und Problemstellungen, sondern definieren ihre Projekte und Probleme zu großen Teilen eigenständig und mit unmittelbarem Fokus auf die Gestaltung ihrer eigenen Lernumgebung an der Hochschule (z. B. durch Peer-Tutoring). Selbstorganisiert sind sowohl die Inhalte als auch der zeitliche Rahmen der Projektaktivitäten, die Teilnahme ist nicht verpflichtend.

2.1 Informelles Lernen in formellen Kontexten

Die Anrechnung der im Begleitstudium informell erbrachten Lernleistungen auf das Fachstudium erfolgt auf Basis individueller Reflexion der gemachten Lernerfahrungen auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen: Auf der untersten Ebene beschreiben die Studierenden ihr Vorgehen in den Projekten. Diese Dokumentation erfolgt handlungsnah (während des Projekts) mit Hilfe von Projektjournalen. Auf der mittleren Ebene bewerten die Studierenden die gemachten Lernerfahrungen in Bezug den Erfolg des bearbeiteten Projekts. Diese Evaluation erfolgt summativ am Ende eines (Teil-) Projekts in einem Projektbericht. Auf der obersten Ebene analysieren die Studierenden ihre Lernerfahrungen und bringen sie in einem Abschlussbericht über das gesamte Begleitstudium mit Theorien aus dem Fachstudium in Verbindung. Hier geht es also um eine Integration unterschiedlicher Lernerfahrungen im Studium.

2.2 Widerspruch von Wollen und Verhalten

Ein Blick in die Evaluationen des Studiengangs Medien und Kommunikation (Studierenden- und Absolventenbefragungen ) könnte zu der spontanen Annahme führen, dass das Begleitstudium auf breite Resonanz stoßen müsste: Ein möglichst hoher Anteil an praktischen Tätigkeiten wird sowohl von Studierenden als auch von Absolventen als eines der wichtigsten Gütekriterien für ihr Studium genannt; fehlender oder zu geringer Praxisbezug gilt stets als Negativkriterium, wenn es um die Bewertung einzelner Fächer oder Disziplinen geht. Gleichzeitig sind den befragten Studierenden akademischer Anspruch und inhaltliche Tiefe ihres Studiums wichtig (Hofhues & Jenert, 2007; Ganz, Dürnberger, Jenert & Wiedemann, 2007). Das Begleitstudium setzt hier an und bietet die Möglichkeit, überfachliche Kompetenzen im Studienkontext und mit Bezug zu den Inhalten des Fachstudiums zu erwerben.

Die tatsächliche Resonanz auf das Begleitstudiums-Angebot zeichnet jedoch ein anderes Bild: Seit dem offiziellen Start des Zusatzangebots im Wintersemester 2004/2005 bis Dezember 2007 haben 12 Studierende das Begleitstudium mit Erwerb eines Zertifikates abgeschlossen. Stellt man die Zahl der Studienanfänger in den entsprechenden Jahrgängen den Begleitstudiums-Absolventen gegenüber, ergibt sich eine durchschnittliche Beteiligungsquote von unter sieben Prozent eines Jahrgangs. An dieser Stelle zeigt sich ein deutlicher Widerspruch zwischen dem artikulierten Wollen und dem tatsächlichen Verhalten der Studierenden: Zwar werden Praxisbezug und der Erwerb überfachlicher Kompetenzen von einer deutlichen Mehrheit gewünscht und als Qualitätskriterium ihres Studiums genannt. Die Beteiligung an einem speziell auf den überfachlichen Kompetenzerwerb ausgerichteten Studienangebot ist dagegen (verhältnismäßig) gering (Hofhues & Jenert, 2007).

2.3 Das „Motivations-Paradox": Explorative Interviewstudie

Der offensichtliche Widerspruch zwischen den von den Studierenden geäußerten Wünschen bezüglich ihrer Studiengestaltung und der geringen Teilnahme am Begleitstudium gab den Anlass für eine kleine, explorative Interview-Studie. Dabei wurden die Gründe für dieses scheinbare „Motivations-Paradox", einem Verhalten entgegen dem geäußerten Wollen untersucht. In insgesamt neun halbstrukturierten Interviews wurden Studierende zu ihrer Einstellung dem Begleitstudium gegenüber befragt. Das Sample umfasste dabei sowohl Studienanfänger als auch Absolventen. In beiden Gruppen wurden wiederum Studierende befragt, die am Begleitstudium interessiert/nicht interessiert (Anfänger) waren bzw. teilgenommen/nicht teilgenommen (Absolventen) hatten. Die Erkenntnisse der Befragung lassen sich auf vier wesentliche Punkte zusammenfassen (Jenert, 2008):

  • Die Entwicklung überfachlicher Kompetenzen und praxisorientiertes Lernen werden von allen Befragten als wichtige Bestandteile ihres Hochschulstudiums bezeichnet.
  • Ausschlaggebend für den Einstieg in das Begleitstudium sind allem voran punktuelle inhaltliche Interessen an/Neugier bzgl. eines bestehenden Projekts, fast nie die didaktische Ausgestaltung (d. h. die selbstorganisierte Lernform). Die selbstorganisierte Struktur wird, zumindest zu Beginn, kaum als Qualitätsmerkmal des Begleitstudiums wahrgenommen.
  • Besonders Studienanfänger können kaum einschätzen, inwiefern sich die selbstorganisierte Lernform im Begleitstudium auf ihre Kompetenzentwicklung auswirken könnte bzw. wo sich Unterschiede zu „traditionellen" Lehr-Lernformen im Studium zeigen. Die Lernorganisation wird daher kaum als Entscheidungskriterium für oder gegen das Begleitstudium herangezogen.
  • Die befragen Begleitstudiums-Absolventen stellen rückblickend einen persönlichen Wandel dahingehend fest, dass sich neben dem inhaltlichen Interesse auch eine Wertschätzung für den selbstorganisierten Lernmodus entwickelt hat.
  • Die Befragen, die kein Interesse am Begleitstudium zeigen bzw. es nicht absolviert haben, erkennen darin keinen wesentlichen Vorteil gegenüber traditionellen Formen des Lernens an der Hochschule.

Werden diese Ergebnisse zusammen mit der allgemein geringen Beteiligungsquote am Begleitstudium interpretiert, lassen sich unterschiedliche Folgerungen formulieren:

  • Die Studierenden können gerade zu Beginn ihres Studiums unterschiedliche Lehr- und Lernformen nicht valide bewerten. Die Auffassung, überfachliche Kompetenzen und praxisbezogene Lehre seien wichtige Bestandteile eines Studiums, kann vor diesem Hintergrund eher als übernommene Zielvorstellungen betrachtet werden, denn als Folge reflektierter Lernerfahrungen. Studierende reflektieren kaum darüber, wie praxisbezogenes, kompetenzorientiertes Lernen aussehen könnte bzw. inwiefern die eigene Studiengestaltung dem Anspruch überfachlicher Kompetenzentwicklung entspricht.
  • Die Teilnahme am Begleitstudium verändert bei allen befragten Absolventen die Wahrnehmung des Lernens: Diejenigen Studierenden, die das Begleitstudium absolviert haben, schreiben der selbstorganisierten Lernform im Begleitstudium einen besonderen Wert zu. Hier lässt sich konstatieren, dass die Studierenden eine Art didaktisches Bewusstsein entwickeln. Allerdings können auch diese Studierenden kaum begründen, weshalb sie das Lernen im Begleitstudium als besonders „interessant" oder „spannend2 erlebt haben bzw. warum subjektiv „mehr" gelernt wurde als im Fachstudium.

Zusammenfassend kann angenommen werden, dass mangelndes Bewusstsein um den Einfluss des didaktischen Settings auf das eigene Lernen eine der größten Akzeptanzhürden des Begleitstudiums darstellt. Solange die Studierenden im selbstorganisierten Lernarrangement keinen Bezug zu ihren individuellen Lernzielen erkennen, bleibt der Mehrwert gegenüber traditionellen Lehr- und Lernformen unklar. Denn Selbstorganisation beim Lernen bedeutet zunächst einmal Unklarheit bezüglich der zu erbringenden Leistungen ebenso wie der Resultate im Sinne von Noten und Credit-Punkten. Die unklare Kosten-Nutzen-Relation kann dazu führen, dass sich vor allem diejenigen Studierenden in einem Programm wie dem Begleitstudium engagieren, die bereits von Hause aus ein hohes Mass an Motivation und Selbstorganisationsfähigkeit mitbringen (Jenert, 2008). Aus pädagogischer Sicht sollte es jedoch das Ziel sein, mit einem didaktischen Arrangement wie dem Begleitstudium, gerade auch solche Studierende zu aktivieren, die nicht a priori über ausgeprägte Selbstlernkompetenzen verfügen.

Die beschriebenen Beobachtungen im Begleitstudium stellen keinen Einzelfall dar. Lowyck et al. (2004) zeigen mit Verweisen auf eine Reihe empirischer Arbeiten, dass Studierende nicht immer über die notwendigen Fähigkeiten verfügen, wenn es darum geht, Lernaktivitäten und -prozesse selbstorganisiert zu planen und sich in „offenen" Lernarrangements, d. h. Szenarien, die selbstorganisiertes, komplexes Problemlösen in authentischen Kontexten verlangen, zurechtzufinden. Mit vergleichbaren Ergebnissen argumentieren Kirschner et al. (2006) gegen den Einsatz solcher offener Lernumgebungen, da sie sich im Vergleich zu instruktionalen Ansätzen weniger effektiv und effizient erwiesen hätten. Ich vertrete an dieser Stelle die Ansicht, dass Selbstorganisation eine wichtige Schlüsselkompetenz darstellt und daher auch in der Hochschulbildung gefördert werden sollte. Allerdings illustrieren das obige Beispiel sowie die angeführte Literatur, dass nur ein eher geringer Anteil von Studierenden die Voraussetzungen für selbstorganisiertes Lernen bereits mitbringt.

3. Grundannahmen zu Wissen und Lernen als Schlüssel zum selbstorganisierten Lernen

Am Beispiel Begleitstudium wird deutlich, dass ein Bewusstsein für den Zusammenhang zwischen dem Lernverhalten und den langfristigen Konsequenzen für die Kompetenzentwicklung - also epistemisches Wissen zum Zusammenhang von Lernen und Wissen - selbst bei kompetenten Lernern nur wenig ausgeprägt ist. Im Hinblick auf selbstorganisiertes Lernen sollte diesem Aspekt bereits bei der Gestaltung von Lernarrangements besondere Beachtung geschenkt werden. Seit den 1970er Jahren hat die pädagogisch-psychologischen Forschung mehrere, teils aufeinander aufbauende, Konzepte hervorgebracht, die Unterschiede im Lernverhalten speziell von Studierenden betrachten (für eine Übersicht siehe Entwistle & Peterson, 2004). Um eine bewusste Auseinandersetzung Lernender mit solchen meist impliziten Vorstellungen und Haltungen dem Lernen gegenüber fördern zu können, werden im Folgenden die wichtigsten Konzepte vorgestellt.

3.1 Epistemische Überzeugungen

Zahlreiche theoretische wie auch empirische Arbeiten beschäftigen sich mit epistemischen Überzeugungen von Lernenden: Darunter werden „students' thinking and beliefs about knowledge and knowing" (Hofer, 2001, 355) verstanden, die folgende Elemente umfassen: „[...] beliefs about the definition of knowledge, how knowledge is constructed, how knowledge is evaluated, where knowledge resides, and how knowing occurs" (ebd.). Solche Überzeugungen darüber, wie Wissen strukturiert ist, entsteht und weitergegeben wird, beeinflussen auch, wie Lernende über Lernen und Lehren denken. Entsprechend der epistemischen Überzeugungen existieren auch unterschiedliche Grundannahmen darüber, wie Lernen funktioniert, so genannte Conceptions of Learning (Entwistel & Peterson, 2004, 411f.).

Epistemische Überzeugungen und Conceptions of Learning werden häufig in Entwicklungsmodellen dargestellt (Hofer, 2001; Muis, 2004, Entwistle & Peterson, 2004). Perry (1970) unterscheidet in seiner viel zitierten Studie zu den epistemischen Überzeugungen von College-Studierenden neun Entwicklungsstufen, die er anschliessend in vier Kategorien einteilte: Zunächst wird Wissen dualistisch als wahr oder falsch kategorisiert und die Hoheit über das „richtige" Wissen kompetenten Personen, z. B. Lehrenden zugeschrieben. Auf der zweiten Stufe wird erkannt, dass gleichzeitig multiple Standpunkte und Unsicherheit existieren können. Diese Einsicht führt schliesslich zu einer relativistischen Einstellung gegenüber Wissen, bei der unterschiedliche Standpunkte gegeneinander abgewogen und als besser oder schlechter bewertet werden. Schliesslich sind Lernende bereit, sich selbst begründet für einen Standpunkt zu entscheiden und zu akzeptieren, dass Wissen stets verhandelbar ist und argumentativ begründet werden muss (Muis, 2001).

Analog zu Perrys Klassifizierung lassen sich auch Conceptions of Learning als Stationen einer Entwicklung von einfachen hin zu komplexen Konzeptionen beschreiben (Entwistle & Peterson, 2004): Zunächst wird Lernen als reproduzierende Tätigkeit wahrgenommen, bei der es um den Erwerb von Faktenwissen bzw. um Memorieren vorgefertigter Informationen geht. Die Anwendung und Nutzung von Wissen bildet die Schwelle zu einem Verständnis von Lernen, das nicht mehr Reproduktion, sondern Sinnverstehen in den Mittelpunkt rückt. Entwicklungsmodelle zu Conceptions of Knowledge and Learning lassen sich damit zusammenfassen, dass "Individuals believe, at first, that knowledge is certain, simple, and handed down by authority, and, later, develop towards a conception of knowledge as being tentative, complex and integrated, and deduced from observation and reason" (ebd., 410).

Gegenüber solchen Entwicklungsmodellen vertritt Schommer (1990) ein komplexeres Modell, indem epistemologische Überzeugungen als multidimensionales Konstrukt gefasst werden. Sie unterscheidet Überzeugungen zur Natur von Wissen (Struktur und Gewissheit) und Lernen (Geschwindigkeit und Kontrolle). In Schommers Modell können die vier Dimensionen epistemologischer Überzeugungen relativ unabhängig voneinander existieren.

3.2 Der Einfluss von Wissens- und Lernkonzeptionen auf selbstorganisiertes Lernen

Wie stehen nun epistemische Überzeugungen und die Akzeptanz Selbstorganisation fordernder Lernumgebungen in Zusammenhang? Lowyck et al. (2004) beschreiben mit dem Konzept der Instructional Conceptions „students' ideas about the relationship between the learning environment on the one hand and their learning (processes and outcomes) on the other" (ebd., 433). Damit widersprechen die Autoren einer „naiven" Auffassung des Instruktionsdesigns, nach der die Gestaltung von Interventionen in Lernumgebungen einen direkten Einfluss auf das Lernen habe. Vielmehr hängt die Wahrnehmung (Instructional Perception) von und die Reaktion auf bestimmte Lehr-Lernsettings von den Vorstellungen der Lernenden darüber ab, wie Lernen idealerweise funktioniert oder was „gute" Lehre ausmacht. Lernende reagieren also nicht auf objektive instruktionale Massnahmen (d. h. die bewusste didaktische Gestaltung) sondern interpretieren eine Lernumgebung auf Basis ihrer Instructional Conceptions. Erst diese individuell interpretierten Merkmale einer Lernumgebung (z. B. Sinn von Aufgaben, Ziele des Assessments etc.) bilden die Grundlage von Lernaktivitäten (Vermunt & Verloop, 1999). Eine fehlende Passung zwischen den Erwartungen des Lehrenden bei der Gestaltung einer Lernumgebung und der Interpretation didaktischer Elemente durch die Lernenden kann dazu führen, dass die erwünschten Lernziele nicht erreicht oder, wie im Beispiel Begleitstudium, die Lernaktivität gar nicht erst als sinnvoll und erstrebenswert akzeptiert wird (vgl. Lowyck et al., 2004, 430). Konkret kann das bedeuten: Ein Studierender, der Lernen bisher stets als Prozess der aktiven Wissensaufnahme erlebt und entsprechende epistemische Überzeugungen zur Natur von Lernen entwickelt hat, interpretiert traditionelle Unterrichtsformen wie die Vorlesung als normal und effektiv. Eine konstruktivistisch orientierte, offene Lernumgebung wird unter Umständen nicht als wertvoller, vielleicht sogar als verunsichernd und unverständlich erlebt. Bei der Entwicklung von Instructional Conceptions spielen im Laufe des individuellen Bildungswegs gemachte Lernerfahrungen eine zentrale Rolle, da epistemische Überzeugungen wie auch Lernhaltungen mit der Zeit erfahrungsbasiert ausgebildet werden (Entwistle & Peterson, 2004). Das Konstrukt der Instructional Conceptions kann von daher erklären, weshalb Lernumgebungen, die von einem pädagogisch-didaktischen Standpunkt aus als „gut" bewertet werden, weil sie bspw. Selbstorganisation und Eigenaktivität fördern, von Seiten der Lernenden nicht unbedingt höhere Akzeptanz erfahren als traditionellen Formaten.

Darüber hinaus konnte ein Zusammenhang zwischen epistemischen Überzeugungen und der Lernmotivation Studierender nachgewiesen werden (Muis, 2004). Paulsen und Feldman (1999) zeigen ausgehend von Schommers (1990) Modell, dass drei der vier Dimensionen epistemischer Überzeugungen mit verschiedenen Konstrukten der Lernmotivation korrelierten. Zusammengefasst lassen ihre Ergebnisse den Schluss zu, dass eine differenzierte Vorstellung von Wissen und Lernen als komplex und kontextabhängig mit eher intrinsisch motiviertem und reguliertem Lernen, dem Gefühl von Selbstwirksamkeit beim Lernen und einer positiven Wertschätzung für lernbezogenen Aufgaben korreliert. Dementsprechend bezeichnen Paulsen und Feldman (1999, 22) komplexe epistemische Überzeugungen als „motivational produktiv". Sie fordern, Lernende dabei zu unterstützen, naive Vorstellungen zu Wissen als simpel und absolut und Lernen als einfacher Prozess der Wissensübertragung zu komplexeren Wissens- und Lernkonzeptionen zu entwickeln. Muis (2004) schlägt ausgehend von einer umfangreichen Literatur-Analyse vor, eine direkte Verbindung zwischen den Konzepten zu epistemischen Überzeugungen und selbstreguliertem Lernen auf unterschiedlichen Ebenen herzustellen. So zeigt eine Vielzahl empirischer Ergebnisse, dass Lernende mit komplexen epistemischen Überzeugungen generell höhere Standards für ihr eigenes Lernen setzen mit der Folge, dass sie anspruchsvollere Lernziele verfolgen, motivierter und aktiver lernen als Lernende mit einfachen Annahmen.

3.3 Wandel von Wissens- und Lernkonzeptionen als Voraussetzung und Ziel von Selbstorganisation

Die oben aufgeführten Forschungsergebnisse zeigen, dass epistemische Überzeugungen von Lernenden als kritische Komponente bei der Gestaltung von Lernen berücksichtigt werden müssen. Passen diese Grundvorstellungen zur Natur von Wissen und Lernen nicht mit den angetroffenen Lernsettings zusammen, bleiben die erhofften aktivierenden oder motivationssteigenden Effekte didaktischer Massnahmen mitunter aus. Das gilt besonders für lernerzentrierte Konzepte, die auf Selbstorganisation beim Lernen abzielen und Reflexionsfähigkeit voraussetzen. Anders ausgedrückt: Lernende mit einfachen epistemischen Überzeugungen verfügen nicht über die notwendigen Grundlagen, selbstorganisiertes Lernen zu bewerten und Lernaktivitäten wie das Begleitstudium als lohnenswert für die eigenen Kompetenzentwicklung zu erkennen. Letztlich ist dazu eine Reflexion impliziter Grundannahmen über die eigenen epistemischen Überzeugungen und gegebenenfalls ein Wandel „naiver" Überzeugungen notwendig. Eine solche metakognitive Auseinandersetzung Lernender über die eigenen Vorstellungen zur Natur von Lernen und Wissen ist heute weder in Schulen noch in der Hochschule weit verbreitet. (Pintrich, 2002) betont, dass metakognitives „Selbstwissen" Lernender über die eigenen Stärken und Schwächen, verwendete Lernstrategien und eben auch lernbezogene Grundhaltungen wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Selbstorganisiertes Lernen sei.

Zur Unterstützung der metakognitiven Auseinandersetzung mit den eigenen Grundannahmen über die Natur von Wissen und Lernen gibt es kaum bewährte Methoden. Generell entwickeln sich „wertvolle" (vgl. Pausen & Feldman, 1999), also komplexe epistemische Überzeugungen mit der Zeit, z. B. wenn Lernende immer wieder mit offenen Lernumgebungen und komplexen Problemstellungen konfrontiert werden (Muis, 2004, 184). Allerdings bestehen zwischen einzelnen Lernenden starke Unterschiede in dem Grad, in dem die Gestaltung von Lernumgebungen die Veränderung von epistemischen Überzeugungen und Lernverhalten beeinflussen kann - abhängig von bereits bestehenden Dispositionen zu selbstorganisiertem Lernen (Nijhuis, Segers, Gijselaers, 2008). Aus pädagogisch-didaktischer Sicht ist diese Erkenntnis wenig zufrieden stellend, bedeutet sie doch, dass Lernende, die bereits von Anfang an Dispositionen zu problemorientiertem und selbstorganisiertem Lernen zeigen, ihre epistemischen Überzeugungen schneller weiterentwickeln. Lernende, die aufgrund ihrer Dispositionen (z. B. durch eine „instruktionale Sozialisation" durch vorherige Lernerfahrungen) weniger offen für selbstorganisierte Lernumgebungen sind, entwickeln sich entsprechend langsamer. Daher scheint es sinnvoll, epistemische Überzeugungen zu Wissen und Lernen nicht nur langfristig durch entsprechende Lernerfahrungen, sondern kurzfristig auch durch die Vermittlung entsprechenden Wissens zu verändern.

Empirische Ergebnisse zeigen, dass eine explizite Schulung kognitiver und metakognitiver Strategien die epistemischen Überzeugungen von Lernenden so beeinflussen kann, dass sie eine stärker konstruktivistisch geprägte Lernhaltung entwickeln (ebd.). Häufiger wird im Kontext der Lernstrategieforschung darüber berichtet, dass die Integration metakognitiver Reflexionsphasen in den regulären Unterricht helfen kann, das Bewusstsein von Lernenden für sonst implizit bleibende Grundannahmen und unhinterfragtes Verhalten zu schärfen. Pintrich (2002) betont in diesem Zusammenhang, dass es wichtig sei, dass Lehrende metakognitive Phasen explizit als solche benennen und darin beispielsweise erläutern, warum sie eine spezielle Unterrichtsmethode gewählt haben u. ä. An der Hochschule wäre es denkbar, epistemisches Wissen als Teil der propädeutischen Grundausbildung zu vermitteln. Meyer und Boulton-Lewis (1999) haben mit dem Reflections on Learning Inventory (RoLI) einen Fragebogen entwickelt, mit dessen Hilfe epistemische Überzeugungen erhoben werden können. Die Fragen zielen auf selbst angewandte Lernstrategien („I have to learn over and over things that don't make sense to me") ebenso wie auf individuelle Grundüberzeugungen („Knowledge really just consists of pieces of information"), die mit einer fünfstufigen Lickert-Skala abgefragt werden.1 Instrument kann als didaktisches Mittel verwendet werden (es wurde speziell für den Einsatz an der Hochschule entwickelt), indem die Analyse bestehender Überzeugungen zum Ausgangspunkt für eine kritische Reflexion der eigenen Lernhaltung gemacht wird.

4. Konsequenzen für didaktische Praxis und Forschung

Kommen wir noch einmal auf das eingangs skizzierte Beispiel Begleitstudium „Problemlösekompetenz" zurück. Die Übertragung der oben dargestellten Erkenntnisse der pädagogisch-psychologischen Forschung auf den Einzelfall scheint hier plausibel. Den Studierenden fehlt zunächst die notwendige metakognitive Kompetenz und das epistemische Wissen, um ein Angebot wie das Begleitstudium einschätzen und bewerten zu können. Gleichzeitig scheint die Lernerfahrung im Begleitstudium bei den Teilnehmenden Studierenden einen Entwicklungsprozess hin zu einem komplexeren Verständnis von Lernen zu unterstützen. Als Handlungsempfehlung lässt sich daher ableiten, dass eine höhere Akzeptanz dieses freiwilligen Programms möglicherweise dadurch erreicht werden kann, von Beginn des Studiums an systematisch an den lern- und wissensbezogenen Überzeugungen der Studierenden gearbeitet und damit ein Verständnis für die besonderen Lernchanen im Begleitstudium erreicht wird. Beispielsweise könnten zu Beginn von Seminaren die individuellen Lernziel der Studierenden gesammelt (z. B. „praxisorientiert Lernen" als Wunsch, Handlungskompetenzen zu erweitern) und anschliessend thematisiert werden, mit welchen Lehr-Lernmethoden solche Ziele erreicht werden können. Wenn Studierende über solche Massnahmen für Merkmale und Ziele didaktischer Arrangements sensibilisiert werden, kann ein Angebot wie das Begleitstudium besser als bisher durch aktive Kommunikationsmaßnahmen beworben werden (Jenert, 2008). Eine solche Kommunikation kann aber erst erfolgreich sein, wenn Begriffe wie Kompetenzorientierung oder Selbstverantwortung beim Lernen für die Studierenden auch eine Bedeutung haben und nicht nur abstrakte Wortgebilde sind (Pintrich, 2002). Eben darauf können Massnahmen wie die oben vorgeschlagenen zielen.

Trotz der vorgeschlagenen Massnahmen sei an dieser Stelle eindrücklich darauf hingewiesen, dass die in diesem Artikel betrachteten lernrelevanten Aspekte - Überzeugungen zur Natur von Lernen und Wissen im weitesten Sinne - die Entscheidung für oder gegen das Engagement in einem freiwilligen selbstorganisierten Lernangebot keineswegs vollumfänglich erklären können. Es darf angenommen werden, dass Entscheidungen darüber, wann Studierende welche Lernaktivitäten wahrnehmen, von einem äußerst komplexen Zusammenspiel unterschiedlicher interner (personenbezogener) und externer (kontext- bzw. situationsbezogener) Faktoren abhängen. Die Frage, aufgrund welcher Kriterien Studierende bestimmte Veranstaltungen wählen, hat bisher in der Forschung kaum Aufmerksamkeit erhalten. Das Begleitstudium ist jedoch nur ein Beispiel dafür, dass diese Frage näher untersucht werden sollte, wenn der häufig formulierte Anspruch, Lernen selbstorganisiert zu gestalten, ernst genommen wird. Denn Selbstorganisation umfasst nicht nur die selbstregulierte Bewältigung vorgegebener Lernsituationen, sondern auch das selbstbestimmte setzen von Zielen und die selbstverantwortliche Auswahl geeigneter Lernaktivitäten (Reinmann, 2008).


  1. Eine Demo-Version des RoLI-Fragebogens kann unter http://www.rolisps.com/demoG/ abgerufen werden (zuletzt: 27.06.2008).

Literatur
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Jenert, T. (2008). Denn sie tun nicht, was sie wollen: Die Akzeptanz-Herausforderung bei der Implementierung selbstorganisierten Lernens an der Hochschule. w.e.b.Square. 01/2008. URL: http://websquare.imb-uni-augsburg.de/2008-01/10

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