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Wissensmanagement und E-Learning unter Bildungsperspektive
Ausgabe 2010 04

Denn sie wissen nicht, was sie bloggen

Missverständnisse beim Einsatz von Weblogs in Seminaren an der Hochschule


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Um es gleich vorweg zu nehmen, ich vertrete die These, dass Blogging als Prüfungsleistung keinen Spaß macht. Es ist Mühe, wie jede Klausur oder Hausarbeit auch. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, könnte man sagen. Trotzdem halte ich es für erwähnenswert, denn der „Spaß", die Begeisterung für Themen und das Blogging sind in der öffentlichen Wahrnehmung scheinbar untrennbar verbunden.

Um es gleich vorweg zu nehmen, ich vertrete die These, dass Blogging als Prüfungsleistung keinen Spaß macht. Es ist Mühe, wie jede Klausur oder Hausarbeit auch. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, könnte man sagen. Trotzdem halte ich es für erwähnenswert, denn der „Spaß", die Begeisterung für Themen und das Blogging sind in der öffentlichen Wahrnehmung scheinbar untrennbar verbunden. Eine Google-Suche nach den Begriffen „Blogging" und „Fun" liefert über 15 Millionen Treffer. Vor allem junge Akademiker im Alter zwischen 25 und 35 führen aus eigenem persönlichen Interesse einen Blog. Da ist verständlich, dass eben diese Nachwuchswissenschaftler auch der Meinung sind, dass das Bloggen eine wertvolle Errungenschaft ist, die im Bildungskontext Anwendung finden sollte. Bevor ich darauf eingehe, warum diese Ansicht zwar prinzipiell zu begrüßen ist, aber dennoch zu Problemen führen kann, möchte ich kurz erläutern was uns zum Bloggen motiviert und was uns daran fasziniert. So soll deutlich werden, warum die „Prüfungsleistung Blog" eine andere Behandlung verdient als ihr freiwilliger Bruder.

Warum den Bloggern Blogging Spaß macht

Der Psychologe Norbert Bischof beschreibt in seinem Zürcher Modell der sozialen Motivation drei grundlegende Motivationssysteme, die einen Menschen zum einem Verhalten bewegen: das System der Sicherheit, das System der Erregung sowie das System der Autonomie (Bischof, 2008). Sind diese Systeme aktiviert, so sind wir besonders motiviert ein bestimmtes Verhalten an den Tag zu legen. Die Kommunikationstechnologien des „Social Web", also z.B. Blogs, Netzwerke oder Foren sind deshalb so beliebt, da sie mehrere Systeme zugleich ansprechen. Ich möchte das am Beispiel der Blogs verdeutlichen: Dadurch, dass der Blogger sich in einem Netzwerk von ihm vertrauten Personen bewegt, gibt ihm der Austausch, das Kommentieren und das Schreiben von Beiträgen ein Gefühl der Zugehörigkeit und somit Sicherheit. Er ist nicht allein. Meist vermischt sich dabei Privates und Berufliches, die Grenzen sind fließend.

Zudem schreibt ein Blogger zu seinem spezifischen Fachgebiet. Dort findet er Themen, die er persönlich für spannend hält und wartet gespannt auf neue Impulse aus seinem Netzwerk. Die Blogs bedienen für ihn also auch das Motiv der Erregung. Das dritte Motivsystem, nämlich das der Autonomie, wird beim Blogging ganz offensichtlich angesprochen. Man denke nur an die Bedeutung von Blogs im Zusammenhang mit journalistischer Tätigkeit. Als sein eigener Chefredakteur bestimmt man die tägliche Agenda und hat die totale Kontrolle. Die eigene Praxis, das genaue Vorgehen, die Themenauswahl. All das kann und muss selbst entschieden werden. Für die Hochschulbildung haben Blogs gerade deshalb eine Berechtigung, da sie aus den genannten Gründen das eigenständige Denken und Entscheiden fördern.

Nach Wengers Konzept der „Community of Practice" (Wenger, Dermott & Snyder, 2002) bestehen Praxisgemeinschaften im Kern aus drei Bereichen: der „Gemeinschaft", der „Domäne" und der „Praxis". Das lässt sich auch auf Blog-Netzwerke anwenden. Der erste Bereich spielt vor allem beim Aspekt Sicherheit eine Rolle, die Domäne liefert spannende Themen, also Erregung, und die selbstbestimmte Praxis sorgt für ein Gefühl der Autonomie.

Dass das Mitwirken in einer Blogger-Community Spaß machen kann, dürfte nun klar geworden sein. Allerdings ist die Motivationslage beim Einsatz als Assessment-Werkzeug im Studium etwas anders.

Warum den Studierenden Blogging keinen Spaß macht

Nun, eigentlich liegt es jetzt auf der Hand: Ein Student kann aus Gründen, die direkt im System der Hochschule begründet liegen, über wichtige Faktoren für den „Spaß am Blogging" nur in sehr geringem Maß bestimmen. Das geht los beim Thema des Seminars. Oft ist es eben nicht die Begeisterung für ein Fachgebiet, die einen zur Wahl eines Seminars bewegt. Da fragt man sicher eher: „Welche Punkte brauche ich noch? Welcher Dozent benotet fair? Um wie viel Uhr muss ich aufstehen?" etc. Der Einwand, dass man ein Studienfach doch freiwillig studiert und deshalb schon von Haus aus Interesse mitbringt, hat seine Berechtigung. Aber in den neuen, interdisziplinären Studiengängen mit bis zu drei Hauptfächern und etlichen Nebenfächern gehen die Interessensprofile der einzelnen Studierenden sehr stark auseinander. Das Seminarthema - mag es noch so spannend sein - bietet oft nicht genug Identifikationspotenzial für alle. Die Folge: Die Motivation leidet.

Ein weiterer Minuspunkt ist die fehlende Gemeinschaft. Man hat leider Gottes keine Wahl, wer da im Kurs neben einem sitzt. Das Problem fängt an bei banalen Dingen wie Achselschweiß und geht bis zur nicht vorhandenen Übereinstimmung in den Interessen. Angenommen der Dozent ist die einzige Person im realen und auch im virtuellen Raum, die das Thema toll findet, so wird nur schwer eine Diskussionskultur entstehen und erst recht keine Gemeinschaft mit gutem Zusammenhalt. Hier bieten Master-Seminare meiner Ansicht nach tendenziell bessere Voraussetzungen als Bachelor-Seminare. Das liegt unter anderem daran, dass die Gruppen meist kleiner und zum Teil auch engagierter sind, wodurch ein besseres und vertrauteres Klima für Zusammenarbeit entstehen kann.

Auch die Autonomie ist bei Studierendenblogs nur in eingeschränktem Maß gegeben. Sie beschränkt sich auf die Auswahl der Themen innerhalb des vom Seminar gesteckten Rahmens. Gerade der Einsatz von Gruppenblogs, das heißt Blogs, die mit dem Titel des Seminars überschrieben sind und auf die jeder Student etwas schreiben kann, verhindert nach meinem Eindruck eine tiefere Identifikation. Anders als bei einem E-Portfolio, das zum Teil von einer Einzelperson über ein gesamtes Studium geführt wird (Hornung-Prähauser, Geser, Hilzensauer & Schaffert, 2007, S.38), ist der Blog temporär und kollektiv. Der Einzelne hat zudem keine Kontrolle darüber, wie viel von seinen Beiträgen einsehbar ist. Alles ist öffentlich. Diese Kontrolle wird jedoch immer wieder als essenziell genannt, vor allen bei E-Portfolios (u.a. ebd., 2007, S.14), und meiner Ansicht nach ist sie es auch bei Blogs. Ein Seminar-Gruppenblog ist im Gegensatz zu einem „echten Blog" darüber hinaus nicht Ausdruck der eigenen Identität und kann somit keinen Beitrag zur Autonomie des Verfassers leisten.

Stolpersteine beim Einsatz in Seminaren

Die also vor allem motivational bedingte Unlust am Bloggen wird von den Studierenden in der Regel rational begründet. Dabei treten Hürden und Schwierigkeiten zu Tage, die beim Einsatz von Blogs als Assessment im Voraus bedacht werden müssen. Ich zitiere hier im Folgenden die Teilnehmer des Seminars „Web 2.0 und Non-Profit PR", das im Wintersemester 2009/2010 an der Universität Augsburg abgehalten wurde. Ich selbst war in diesem Seminar als Student anwesend. Das Blogging und auch das Mikroblogging („Twitter") wurde dort neben Mitarbeit, Referaten und einer abschließenden Dokumentation als Prüfungsleistung genutzt. Im Seminarblog sammelte sich gegen Ende des Kurses sehr viel Feedback zu der Tatsache, dass die Beteiligung an dem Mitmachformat gering war.

Erstaunlicherweise führten die Studierenden in ihren Kommentaren an, dass das öffentliche Schreiben und Angelegenheiten der Privatsphäre, die sonst oft als Problempunkte empfunden werden (siehe u.a. Hornung-Prähauser et al.) für sie keine besonderen Hindernisse darstellten. Dafür ergaben sich allerdings drei zentrale andere Kritikpunkte, die ich in Form von „Stolpersteinen" zusammenfassen möchte.

Erster Stolperstein oder „Wie es sich anfühlt kein Experte zu sein"

Oft wurde von den Studierenden genannt, dass sie sich im Seminarthema nicht genug kompetent fühlten. Auch entstand der Eindruck, dass ja schon alles im Seminar „sehr gut geklärt" worden wäre. Somit blieben kaum Ideen für den Blog übrig. Teils wurde auch der eigene Anspruch an einen professionellen Beitrag genannt. Diesem dachte man dann nicht gerecht zu werden. Außerdem vermuteten einige, dass die Diskussionen im Plenum von so großer Qualität waren, dass der Bedarf zu virtuellem Austausch deshalb nicht mehr gegeben war.

Es könnte auch daran gelegen haben, dass die Studierenden nicht tief genug in der Domäne Non-Profit PR „verwurzelt" waren. Man könnte hier gegensteuern, indem man explizit festlegt, dass auch unfertige, rein wiedergebende oder reflektierende Beiträge im Blog erlaubt sind. Ich denke es wurde von vielen vermutet, dass nur hoch wissenschaftliche Essays hochgeladen werden sollen.

Zweiter Stolperstein oder „Wann? Wie? Wo? - Formalitäten"

Hoch wissenschaftliche Essays - auch wenn nicht unbedingt verlangt - brauchen Zeit. Zeit ist oft Mangelware, sogar bei Studierenden. Im beschriebenen Seminar gab es keine Fristen zum Abgeben von Beiträgen. Ein Teilnehmer merkte deshalb an, dass es „vielleicht eher geholfen" hätte, „wenn man das Bloggen oder Twittern etwas gebündelt hätte". Zweimal wurde der Wunsch nach „mehr Anleitung" genannt. Die Dozentin möge doch das nächste Mal „einen Rahmen vorgeben". Da Blogs jedoch gerade bei der Themenwahl Selbstständigkeit voraussetzen, sollte dieser Rahmen nicht zu eng und vor allem nicht inhaltlich sein. Hingegen ist ein gewisser formaler Rahmen mit Hinweis auf Zeiträume, Fristen und Menge an Beiträgen in meinen Augen unumgänglich, eben da man das Bloggen nicht „zum Spaß" macht.

Dritter Stolperstein oder „Kriterien statt Willkür"

Leider wurden für Mitarbeit im Gruppenblog keinerlei Bewertungskriterien herausgegeben. Solche Kriterien sollen bei lernförderlichem Assessments sicherstellen, dass die Benotung fair und transparent ist (u.a. Baartman, Bastiaens, Kirschner & van der Vleuten, 2007, S. 115). Das Fehlen der Kriterien sorgte auf Seiten der Studierenden nicht nur für Unsicherheit darüber, wie die eigene Note zustande kommt. Auch unklar war, was denn in die Blogeinträge geschrieben werden sollte. Dies verdeutlicht unter anderem der Kommentar eines Studenten, der beschreibt, dass ihm „nicht bewusst" war, dass der Blog auch „ein Reflexionsinstrument sei und vielleicht weniger eine Wissenschaftsjournal [...]". Hätte es hier Kriterien gegeben, wäre daraus ersichtlich geworden, ob eher reflektiert werden soll, oder vielmehr essayistisch bzw. wissenschaftlich geschrieben werden soll.

Warum den Dozenten das Blogging der Studierenden keinen Spaß macht

Der nun folgende Punkt spielt vor allem auf die Schwierigkeit an, Reflexionen (und damit auch reflektierende Blogeinträge) von Studierenden zu bewerten. Als Dozent steht man am Ende mit einem Haufen verschiedenartiger Lerngeschichten und Beiträgen da, die sich in Länge und Anzahl stark unterscheiden. Mancher schreib kaum einen Eintrag, mancher schreibt über 20. Die Qualität variiert auch sehr stark und vor allem: Wie soll man sie nur beurteilen, abgesehen von der Korrektur von Rechtschreibfehlern? Auf übergeordneter Ebene ist diese Frage außer durch einen Verweis auf das schwammige Konstrukt „Gesamteindruck" wohl kaum zu beantworten. Auf der Ebene einzelner Einträge wurde schon öfters der Versuch unternommen Kriterien zur Bewertung von Seminar-Blogging zu definieren. Kirchner (2009) empfiehlt dabei folgende Einteilung, die in Seminaren an der TU Ilmenau eingesetzt wird:

Bewertungsschema E-Portfolio-Blog-Beitrag
Abb. 1: Bewertungsschema E-Portfolio-Blog-Beitrag im Praktikum „Elektronische Dokumente" (Kirchner, 2009)

Das Bewertungsschema ist vor allem geeignet, da es neben den üblichen Kriterien, die sich mit Form und Inhalt befassen, auch die Interaktion mit einbezieht. So fließt in die Benotung mit ein, wie vernetzt der eigene Beitrag ist, oder wie mit den Beiträgen von anderen Studierenden interagiert wurde. Für besondere mediale Aufbereitungen, z.B. per Video oder Illustration gibt es Zusatzpunkte.

Ein endgültiges Schema zum Assessment von Blogs wird es nicht geben, auch da die Einsatzszenarien zu unterschiedlich sind. Allerdings sind die genannten Kriterien ein Ansatz mit Potenzial. Wenn man diese und die erwähnten „Stolpersteine" beachtet, kann Blogging im Bildungskontext durchaus Sinn machen. Wer weiß, vielleicht bringt die Tatsache, dass es Kriterien zu erfüllen gibt, ja auch den Spaß zurück. Denn immerhin bieten sie Anhaltspunkte und somit „Sicherheit", ein nicht zu unterschätzendes Motiv bei Studierenden. Nichtsdestotrotz sollte ein Blog auch im Assessment das bleiben, was er ist: Ein Werkzeug zur selbstständigen Auswahl, Strukturierung und Publikation von Themen, die einem am Herzen liegen.


Literatur
  • Baartman, L., Bastians, T., Kirschner, P. & Van der Vleuten, C. (2007). Evaluating assessment quality in competence-based education: A qualitative comparison of two frameworks. Educational Research Review, 2(2), S. 114-129. URL: http://dspace.ou.nl/bitstream/1820/1772/1/Baartman%20et%20al_2007_ERR.pdf (29.03.2010).
  • Bischof, N. (2008). Psychologie - ein Grundkurs für Anspruchsvolle, Stuttgart: Kohlhammer, Kapitel 15.3 „Sicherheit, Bindung und Autonomie".
  • imb Augsburg (2010). web 2.0 und non-profit pr. Seminarblog. URL: http://campaigning.blogs.imb-uni-augsburg.de/ (29.03.2010).
  • Hornung-Prähauser, V., Geser, G., Hilzensauer, W. & Schaffert, S. (2007). Didaktische, organisatorische und technologische Grundlagen von E-Portfolios und Analyse internationaler Beispiele und Erfahrungen mit E-Portfolio-Implementierungen an Hochschulen. Salzburg: Salzburg Research.
  • Kirchner, M. (2009). Bewertungsschema E-Portfolio-Blog-Beitrag. Praktikum "Elektronische Dokumente" WS 2008/09. IfKW, Technische Universität Ilmenau. URL: http://www.tu-ilmenau.de/grimm/uploads/media/Aufgabe_Bewertungsschema_E-Portfolio.pdf (29.03.2010).
  • Wenger, E., McDermott, R. & Snyder, W. (2002). Cultivating Communities of Practice. Harvard: Business Press.

Meyer, P. (2010). Denn sie wissen nicht, was sie bloggen. Missverständnisse beim Einsatz von Weblogs in Seminaren an der Hochschule. w.e.b.Square, 04/2010. URL: http://websquare.imb-uni-augsburg.de/2010-04/5.

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