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Wissensmanagement und E-Learning unter Bildungsperspektive
Ausgabe 2007 06

Wissen ist Macht

Nichts wissen macht auch nichts. Könnte man meinen. Was Wissen wirklich ist und ob wir im Ungang mit Wissen frei sind, das will der Informationswissenschaftler Rainer Kuhlen in seinem Buch „Informationsethik“ wissen.

Die voranschreitende Globalisierung macht immer mehr Informationen verfügbar. Immer komplexere Technik soll uns das Suchen danach erleichtern. Doch ist dem so? Sind wir noch in der Lage frei, mündig, autonom mit Information umzugehen. Oder erledigen das schon längst Maschinen für uns, deren Arbeit wir nur schwer überwachen können? Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Frage des Unterschiedes zwischen Wissen und Information und dem daraus folgenden mündig autonomen Umgang mit Informationen einerseits aus pragmatischer, andererseits aus ethischer Sichtweise. Hauptquelle ist das Buch „Informationsethik - Umgang mit Wissen in elektronischen Räumen“ von Prof. Rainer Kuhlen.

Was ist Wissen?

Dieser Fragestellung versucht der Informationsethiker und Professor für Informationswissenschaft an der Universität Konstanz Rainer Kuhlen auf den Grund zu gehen. Sein 2004 erschienenes Buch „Informationsethik – Umgang mit Wissen in elektronischen Räumen“ betrachtet – wie es der Titel vermuten lässt – verschiedenste Aspekte unserer Informationsgesellschaft („Wem gehört Wissen?“, digitale Spaltung der Gesellschaft, Privatsphäre im Internetzeitalter etc.), insbesondere aus einer ethischen Perspektive.
Dabei nehmen die Fragen nach dem Ursprung und den verschiedenen Formen von Wissen eine zentrale Rolle ein. Denn erst wenn Wissen definiert sei, könne geklärt werden, wem Wissen gehöre.

Bevor man sich jedoch dem „Wesen des Wissens“ nähert, sollte man zunächst untersuchen, wie Wissen eigentlich entsteht. Kuhlen sieht Daten als Grundlage jeden Wissens. Sie seien gemessene, durch Beobachtung von Ereignissen in anerkannten Zeichensystemen dargestellte Einheiten. Sie haben für sich allein keinerlei Bedeutung. Erst in einen (aktuellen) Kontext gestellt, werden daraus Informationen. Lesen wir z. B. allein die Zahlen drei und zwölf, können wir damit nicht viel anfangen. Erst wenn klar ist, dass damit die Tages- und Nachtemperaturen für den morgigen Tag gemeint sind, ergeben sie in diesem Zusammenhang Sinn. Professor Jürgen Mittelstraß, Direktor des Zentrums für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Universität Konstanz, bezeichnet Information in diesem Zusammenhang auch als „transportables Wissen“. Für ihn sind Informationen lediglich eine andere Form von Wissen. Kuhlen dagegen betont bei seinem Wissensbegriff den Lerneffekt. So sei Wissen nichts anderes als in immer wieder neue Kontexte gestellte Information, die dauerhaft gespeichert und jederzeit abrufbar ist. Man könnte Wissen demnach auch als „Informationsgeflecht“ beschreiben. Als eine Art Concept Map, die erst durch eine Vielzahl von einzelnen Informationen zu ganzheitlichem Wissen wird.

Wissen in Aktion und Wissen in Kontext

Ohne eine genaue Betrachtung des Informationsbegriffes und dessen Hintergründe bleibt auch Wissen als solches nicht klar definiert. Klar ist nur, dass Information nicht mit Wissen gleichgesetzt werden kann. Aus diesem Grund schlägt Kuhlen als Ersatznamen von Information die zwei Formeln „Wissen in Aktion“ und „Wissen in Kontext“ vor. Hier erkennt man Kuhlens pragmatischen Ansatz seiner Informationsdefinition: „Informationen (…) existieren nicht losgelöst von ihrer Nutzung.“ (Kuhlen 2004: 162) Erst wenn man Wissen aktiv anwendet oder es in einen neuen Kontext setzt, könne man von Informationen sprechen, so Kuhlen weiter.
Dabei müssen nicht einmal wir selbst diese Informationsarbeit durchführen. Agenten- oder Expertensysteme – wie es sie bereits im klassischen Wissensmanagement gibt – übernehmen in zunehmendem Maße diese Leistungen.
Das führt Kuhlen allerdings zu moralischen Überlegungen zur informationellen Unabhängigkeit jedes Menschen. Es geht speziell um die Frage, ob „sich die Einmaligkeit (…) des Menschen auf[löst], wenn die Leistungen, die bislang beim Umgang mit Wissen und Information dem Menschen vorbehalten waren, in absehbarer Zukunft von Maschinen durchgeführt werden können (…)?“(Kuhlen 2004: 163).

r2r + r2w = r2c 

Ein genauerer Blick auf die Realität unserer Gesellschaft dürfte aber verdeutlichen: Selbst das, was Kuhlen als das „right to read“ (r2r), das „right to write“ (r2w) und als Ergebnis als „right to communicate“ (r2c) unter dem Begriff der informationellen Autonomie subsumiert, kann von vielen nicht wahrgenommen werden. Einerseits sind wir durch Agentensysteme nur noch teilautonom bezüglich unserer selbstständigen Informationsarbeit. Andererseits können wir oft selbst nicht einmal den Rest unserer Informationsautonomie wahrnehmen. Gründe sind hierfür beispielsweise der „access divide“ („Zugangsspalt“) und der „skill divide“ („Fähigkeitenspalt“). Ohne Zugang zu Informationen gibt es keinen Umgang mit Informationen. Ohne die entsprechenden Fähigkeiten im Informationsumgang oder in ihrer Nutzung ist der Mensch nicht mehr autonom. Außerdem verhindern nach Meinung Kuhlens das Referenz- und das Validitätsproblem der informationellen Autonomie einen mündigen Umgang mit Information.
In der Wissensautonomie, die Kuhlen von der Informationsautonomie abgrenzt, sieht er sein Bildungsziel. Gleichzeitig verneint er die Möglichkeit, jemals dieses Ziel erreichen zu können. Nur derjenige, der Probleme allein durch sein Wissen bzw. durch seine Kompetenz im Umgang mit Wissen lösen kann, sei auch vollständig wissensautonom. Dass dies je eintreten werde, sei praktisch unmöglich, so Kuhlen weiter. Niemand von uns könne so viel wissen, dass er in jeder nur erdenklichen Situation die perfekte Lösung findet.
Kuhlen kommt zu dem Schluss, wir könnten höchstens Informationsautonomie erlangen: also selbstständig Informationen zu suchen, nutzen oder damit umzugehen oder diese Tätigkeiten an entsprechende Agenten zu delegieren.

Nichts können, nicht trauen

Dabei entspricht das Referenzproblem, also der mangelnden Übersicht über Informationsquellen, grob dem Problem des „skill divide“. Bedingt durch eine immer größer werdende Menge an frei verfügbarer Information ist jedes Individuum gezwungen, sich immer mehr Fähigkeiten für die Suche nach diesen Informationen anzueignen. So bedeutet Informationsautonomie nicht nur die Nutzung, sondern in erster Linie die Suche nach geeigneter Information zur eigenständigen Problemlösung.
Doch selbst wenn man dieses „Wissen über das Wissen“ nach bestimmten Suchpraktiken beherrsche, gäbe es immer noch das Problem der Validität der gefundenen Information, stellt Kuhlen fest. Egal, ob ich selbst die Information gefunden oder sie ein Agent beschafft habe: Wer garantiert mir die Korrektheit der Information? Hat der Agent meine Anfrage überhaupt verstanden? Ist die gelieferte Information vollständig? All diese Fragen kommen bei der Nutzung technischer Hilfsmittel bei der Informationssuche zustande und beeinträchtigen somit die eigene Informationsautonomie.
Diesem Problem kann Kuhlen nicht abhelfen, aber zumindest lindern: Wenn wir nicht wissensautonom und nur teilweise informationsautonom werden können, dann müssen wir ein gewisses Maß an Vertrauen in die geleistete Informationsarbeit anderer Menschen oder Maschinen investieren. Nur so sei die Unsicherheit erträglich zu machen und die Informationsautonomie zu bewahren, folgert Kuhlen.
Um auf die Überschrift zurückzukommen: Wir hätten Macht, wenn wir in jeder Situation das passende Wissen parat hätten. Haben wir aber nicht. Das wusste bereits Sokrates. Der wusste bekanntlich, dass er eben nichts weiß.


Literatur
  • Kuhlen, Rainer: Informationsethik. Umgang mit Wissen in elektronischen Räumen. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, 2004

Weiterführende Literatur zum Thema „informationelle Autonomie“

  • Kuhlen, Rainer: Ambivalenzen informationeller Autonomie. Wem gehört Wissen und Information? Informatik-Kolloquium. Hamburg 23.05.2005. http://www.inf-wiss.uni-konstanz.de/People/RK/Vortraege_05Web/hh_vortrag... [Stand: 01. Mai 2006, 11:34]
  • Spinello, Richard A.: CyberEthics. Morality and Law in Cyberspace. Second Edition. Sudbury, Massachusetts: Jones and Bartlett Computer Science, 2003

Weiterführende Literatur zum Thema „Digitale Spaltung“

  • Initiative D21/TNS Infratest: (N)ONLINER Atlas 2005. Eine Topographie des digitalen Grabens durch Deutschland. Nutzung und Nichtnutzung des Internets, Strukturen und regionale Verteilung. Inklusive Sonderteil „Internet 2010: Visionen online leben!“. Hamburg: Juni 2005.
  • Mossberger, Karen / Tolbert, Caroline J. / Stansbury, Mary: Virtual Inequality. Beyond the Digital Divide. Washington, D.C.: Georgetown University Press, 2003

Weiterführende Literatur zum Thema „Menschenrechte“


Hahn, D. A. (2007). Wissen ist Macht. w.e.b.Square, 06/2007. URL: http://websquare.imb-uni-augsburg.de/2007-06/6.

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